Wien – Der Platz, der in Wien für Autos vorgesehen ist, liegt bei mehr als zwölf Millionen Quadratmetern – 7,9-mal die Fläche des Schlossparks Schönbrunn. Mehr als ein Viertel davon ist parkenden Autos vorbehalten. In London wird 26-mal die Fläche des Hyde Parks von Autos besetzt, in Berlin 20-mal das Tempelhofer Feld.

Die Zahlen stammen aus dem Projekt What the Street?. Auf der dazugehörigen Plattform veranschaulichen Michael Szell und Kollegen für die auf urbane Mobilität fokussierte Daimler-Tochter Moovel, wie viel Platz Städte für Autos, Bahn und Fahrräder bereitstellen. Die Forscher haben aus digitalen Karten die jeweiligen Verkehrsflächen ausgeschnitten, mit Flächenangaben versehen und in Grafiken gepackt. Die dabei gestellte Frage "Wem gehört die Stadt?" kann in den 23 analysierten Städten klar beantwortet werden: dem Auto.

Der Platz, der in Wien und Umgebung für ein Auto vorgesehen ist, entspricht ungefähr acht Mal der Fläche des Schlossparks Schönbrunn.
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In Berlin sind zu einem Zeitpunkt etwa durchschnittlich nur 60.000 Autos unterwegs, während 1,2 Millionen geparkt sind. Die Fahrzeuge werden im Schnitt nur 36 Minuten pro Tag verwendet. What the Street? bewirbt die Idee, die platzfressenden Privatautos in Städten in Zukunft durch automatisierte Car-Sharing-Flotten zu ersetzen: autonome Fahrzeuge, die ganztägig unterwegs sind, um Menschen je nach Bedarf von A nach B zu bringen.

Bessere Auslastung

"Mit Car-Sharing würde die Auslastung der Autos nicht wie jetzt bei zwei, sondern bei 80 Prozent liegen. Da die Fahrzeuge immer unterwegs sind, würden auch kaum Parkplätze benötigt", sagt Szell, der sich an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften mit Analysen von Mobilität und kollektivem Verhalten beschäftigt. Laut einer Studie der Universität Stuttgart könnten so 93 Prozent der Parkplätze eingespart werden. Platz, der zu Fahrradwegen, Grünflächen oder Gastgärten werden könnte. Auf der Fläche der 1,2 Millionen geparkten Autos in Berlin hätten 64.000 Kinderspielplätze Platz, führt What the Street? plakativ vor Augen.

Auch wenn viele Richtungsentscheidungen noch nicht getroffen sind – klar ist, dass autonome Fahrzeuge das Zeug haben, den Stadtverkehr grundlegend zu verändern. Platzbedarf, Geschwindigkeit, das Verhältnis von öffentlichem und Individualverkehr – viele Aspekte der Mobilität können neu verhandelt werden.

Dass der Verkehr mit selbstfahrenden Autos effizienter gemanagt werden kann, davon geht auch Paolo Santi aus. Der Forscher am Senseable City Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat an der Neuerfindung von Kreuzungsregulierungen mitgearbeitet. "Ampeln wurden vor 150 Jahren für Pferdekutschen erfunden. Die grundsätzliche Funktionsweise blieb seitdem unverändert", sagt Santi. Sie sorgen heute für lange Stoppzeiten, geringe Geschwindigkeiten und hohe Emissionen im Kreuzungsbereich. Neue Fahrzeug- und Kommunikationstechnologien könnten diese Nachteile beseitigen.

"Slot-basiertes" System

"Die Idee ist, dass man das Verkehrsmanagement auf das einzelne Auto herunterbricht", erklärt der MIT-Forscher, der in seinem Herkunftsland Italien am Institut für Informatik und Telematik des Nationalen Forschungsrats CNR in Pisa tätig ist. Dieses "Slot-basierte" System ähnelt dem Management landender Flugzeuge: Das Auto übermittelt beim Zufahren auf die Kreuzung eine Anfrage, die Geschwindigkeit, Position und beabsichtigte Fahrtrichtung beinhaltet. Die "virtuelle Ampel" sammelt die Anfragen und errechnet für alle Fahrzeuge den passenden Zeitpunkt, an dem sie an der Kreuzung eintreffen sollen.

MIT Senseable City Lab

"Jedes Fahrzeug bekommt entsprechend dem errechneten Plan einen Slot und eine passende, vom System optimierte Geschwindigkeit zugewiesen, mit dem es sich der Kreuzung nähern soll", erklärt Santi. Auf diese Art können alle Autos die Kreuzung passieren, ohne dass sie stehenbleiben müssen und der Verkehrsfluss unterbrochen wird. Je nach Fahrtrichtung können nur manche Autos gemeinsam in die Kreuzung einfahren

Die Rechenmodelle ergaben, dass sich die Kapazität einer in dieser Weise geregelten Kreuzung verdoppeln würde – bei gleichbleibender Sicherheit. Staus und städtischer Stop-and-go-Verkehr würden sich in Luft auflösen, Emissionen an Kreuzungen um 30 Prozent zurückgehen. Und auch Fußgänger und Radfahrer wären in das System integrierbar, fügt der MIT-Forscher hinzu. Für sie könnten entsprechende Slots per Smartphone reserviert werden.

Himmel oder Hölle

Effizienzsteigerungen wie diese helfen aber wenig, wenn jeder Bewohner sein eigenes Fahrzeug nutzt. Für Santi gibt es in den Zukunftsperspektiven der Stadtmobilität ein Himmel- und ein Hölle-Szenario. Hölle wäre, wenn jeder sein privates Fahrzeug kreuz und quer durch die Stadt schickt, um Transporte zu erledigen. In der Himmel-Version würden die Bewohner dagegen Mobilität als Service begreifen, und das nächste Fahrzeug in geeigneter Größe für einen Transportauftrag ordern. In dieser Variante würden Leerfahrten minimiert. Das Auto als Privateigentum wäre aber die Ausnahme.

Bitte um Landeerlaubnis an der Kreuzung! In Zukunft könnten autonome Fahrzeuge von einer virtuellen Ampel zur optimalen Fahrbahn geschleust werden – ganz ohne Stau.
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Wie können derartige Perspektiven auf eine Stadt wie Wien übertragen werden? "Die Zielsetzung der Stadt ist es, den motorisierten Individualverkehr – egal ob autonom oder nicht – bis 2050 stark zu reduzieren", betont Anna Mayerthaler, die sich bei der auf Forschung ausgerichtete Stadtwerke-Tochter Neue Urbane Mobilität Wien (NeuMo) mit dem Thema beschäftigt. "Car-Sharing ist dabei ein grundsätzliches Denkmuster und das Instrument der Wahl. Es passt nicht zusammen, dass jeder sein eigenes Fahrzeug hat und Wien dennoch eine der lebenswertesten Städte bleibt. Daran ändern auch autonome Fahrzeuge nichts."

Mehr Bewegungsspielraum

Anderen Verkehrsteilnehmern abseits des Autos mehr Bewegungsspielraum zu geben, ist für Mayerthaler eine der Maximen. Potenzial für autonome Fahrzeuge sieht sie abseits von Car-Sharing auch im öffentlichen Verkehr, etwa in Form von On-Demand-Shuttles – kleinen Bussen, die bei Bedarf verkehren und als Zubringer für U- und S-Bahnen agieren. Ein autonomer Kleinbus wird ab 2018 in der Seestadt Aspern gestestet. Neben den Wiener Linien sind dort unter anderem das Austrian Institute of Technology AIT und das Kuratorium für Verkehrssicherheit mit an Bord.

Doch werden sich die Menschen tatsächlich von ihren Privatautos trennen können? MIT-Forscher Santi ist zuversichtlich: "Meine Generation hatte es noch eilig, mit 18 Jahren den Führerschein zu machen. Heute ist das bereits anders. Schon jetzt ist für viele junge Menschen das Auto kein Statussymbol mehr."

Die aktuelle Ausschreibung des Forschungsprogramms Mobilität der Zukunft des Verkehrsministeriums fördert u. a. "Systemszenarien Automatisiertes Fahren in der Personenmobilität". Projekte können bis 20. 9. bei der Förderagentur FFG eingereicht werden. (Alois Pumhösel, 21.7.2017)