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In Stuttgart prüft das Gericht, ob Diesel in die Stadt dürfen.

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Stuttgart – Im Streit über Fahrverbote für Dieselautos in Stuttgart deutet die Justiz Zweifel an der Nachrüstung älterer Fahrzeuge als Alternative an. Die Berechnungen des Landes Baden-Württemberg in der Frage, wie rasch welche Dieselmodelle von den Herstellern nachgebessert werden können und wie weit sich Schadstoffe reduzieren lassen, seien "von maximalem Optimismus getragen", sagte Richter Wolfgang Kern beim Verhandlungstermin am Verwaltungsgericht.

Experten gehen davon aus, dass 50 Prozent der Diesel, die bisher nur die Abgasnorm Euro 5 erreichen, auf Euro 6 nachgerüstet werden müssten, um die Wirkung der angedachten Fahrverbote zu erreichen. Weitere Annahme: Durch Nachrüstung lasse sich der Schadstoff um 50 Prozent reduzieren. Die Machbarkeit beruhe auf Angaben der Autoindustrie. Am Ende stehe am besonders belasteten Neckartor in Stuttgart jedoch nur eine Reduzierung der Schadstoffe um neun Prozent, ließ sich das Gericht vorrechnen.

Überschreitungen

Die Zweifel des Gerichts scheinen berechtigt. Wie bereits 2016 der Bericht der VW-Untersuchungskommission im Auftrag des deutschen Verkehrsministeriums auflistete, ist das Zertifikat Euro 6 keine Garantie für eine tatsächliche Senkung des Ausstoßes gesundheitsgefährdenden Stickoxiden (NOx). Im Gegenteil: Der Renault Kadjar 1,6 Liter (Euro 6, 96 kW) etwa überschreitet den für Euro 6 vorgeschriebenen Grenzwert von 80 mg/km bei dem ab September vorgeschriebenen RDE-Test, also bei "realitätsnahen Straßenmessungen", um das 13,2-Fache. Der Opel Insigna 2,0 (125 kW) stößt demnach das 7,9-Fache aus, der Mercedes V 250 Bluetec 2,1 l (140 kW) das 3,9-Fache. Laut der VW-Untersuchungskommission überschritt auch der Audi A6 2.0 im realen Straßenverkehr den Euro-6-Grenzwert um das Dreifache.

"Andererseits zeigen Großraumlimousinen, die mit SCR-Katalysator (Beigabe wässriger Harnstofflösung, Anm.) ausgerüstet sind, dass die Einhaltung der Grenzwerte technisch sehr wohl machbar ist", sagt der Linzer Rechtsanwalt Michael Poduschka, der VW-Kläger vertritt, zum STANDARD. Er hält daher eine Aufrüstung für eine echte Verbesserung zum Schutz der Umwelt.

Laut dem VW-Untersuchungsbericht nutzen alle Hersteller Abschalteinrichtungen gemäß der EU-Verordnung 715/2007 zum Motorschutz oder sicheren Betrieb des Kfz und liefern außerhalb des Rollenprüfstandstests (NEFZ) stark erhöhte NOx-Werte. Ob diese Abschalteinrichtungen zulässig sind, müssten jedoch die jeweils zuständigen Genehmigungsbehörden klären.

"Diesel-Gipfel" im August

Das Verwaltungsgericht in Stuttgart verhandelt eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen einen neuen Luftreinhalteplan ab 1. Jänner 2018. Die DUH sieht allein in Diesel-Fahrverboten ein wirksames Mittel gegen Luftverschmutzung. Die EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) werden in Stuttgart seit mindestens sieben Jahren teils um das Doppelte übertroffen. Seine Entscheidung will das Gericht am 28. Juli verkünden. Das Land hingegen will abwarten und 2018 prüfen, ob die von der Autoindustrie angekündigten Nachrüstungen eine ähnliche Wirkung haben.

Beim Berliner "Dieselgipfel" am 2. August wollen Politiker betroffener deutscher Bundesländer und die Autobranche konkrete Schritte für Schadstoffreduktion festlegen. Die Chefs von VW, Audi, Porsche, BMW, Daimler, Ford Deutschland und Opel werden dort sein. (dpa, ung, 20.7.2017)