Abgesehen vom Design: Die wesentlichen offenen Fragen zu künstlichen Intelligenzen als Vorgesetzte sind rechtliche und kulturelle

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Stellen Sie sich vor, Sie kommen morgens in Ihr Büro und fahren den Computer hoch. Plötzlich poppt die Meldung auf Ihrem Bildschirm auf: "Fahren Sie bitte zum Projektmeeting nach London und erstatten dann Bericht. Gezeichnet, Ihr Algo-Chef."

Das Szenario klingt wie eine Utopie, doch es könnte bald Wirklichkeit werden. Alibaba-Gründer Jack Ma prognostizierte unlängst beim China Entrepreneur Club, dass in nicht allzu ferner Zukunft KI-Systeme in die Chefetage einziehen könnten. "In 30 Jahren wird sehr wahrscheinlich ein Roboter das Time-Cover als 'CEO des Jahres' zieren", sagte Ma. "Sie erinnern sich besser als Menschen, sie zählen schneller als du, und sie werden nicht ärgerlich auf Wettbewerber."

Die Maschine weist an

Die Zukunft ist längst da. Der japanische Mischkonzern Hitachi hat ein KI-System entwickelt, das menschlichen Mitarbeitern konkrete Arbeitsaufgaben zuweist und damit zum Chef wird. Der Computer analysiert die menschlichen Arbeitsabläufe und erteilt auf dieser Grundlage Handlungsanweisungen. Statt auf vorprogrammierte Instruktionen wie bei einer Logistiksoftware zurückzugreifen, weicht das KI-System vom Skript ab und passt sich an neue Bedingungen wie Wetter und Nachfrageänderungen an. Nicht mehr der Mensch befehligt die Maschine, sondern die Maschine den Menschen.

Einen Großteil der Managementaufgaben umfasst Informationsverarbeitung, und darin ist die Maschine dem Menschen überlegen. Künstliche Intelligenzen spielen besser Schach, Go und Poker als der Mensch und könnten dank riesiger Rechenkapazitäten ganze Wertschöpfungsketten steuern.

Es ist schon da

Wie der Name schon sagt, exekutiert ein Chief Executive Officer bestimmte Aufgaben. Aus Sicht der Entwickler lässt sich diese Kompetenz als eine Reihe von Wenn-dann-Aussagen formulieren, mit denen man einen Algorithmus programmieren könnte. Zum Beispiel: Wenn der Aktienkurs fällt, spart man Personal. Das ist freilich grob vereinfachend, aber letztlich folgen auch komplexe Managemententscheidungen – kauft man ein Unternehmen zu oder stößt man es ab? – bestimmten ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, die man als regelgeleitetes Vorgehen programmieren könnte. Es gibt mittlerweile Roboterärzte, Roboterjournalisten, Roboteranwälte – in dieser Linearität und Kontinuität wäre es nur folgerichtig, wenn es irgendwann auch den Roboterchef gäbe. Das Marktforschungsinstitut Gartner schätzt, dass bis 2018 drei Millionen Arbeiter von einem "Robo-Boss" beaufsichtigt werden.

Das Versprechen von Roboterchefs und Robotermanagern ist, dass sie vorurteilsfrei und nur in Ansehung der Daten entscheiden. Der Roboter hat keine Launen, er ist nicht impulsiv, korrumpiert oder intrigant, ihn interessiert nicht, ob ein Bewerber in Boston oder in der Bronx aufgewachsen ist oder welche politischen Ansichten jemand vertritt. Die Maschine wäre möglicherweise gerechter, nicht nur in der Rekrutierung von Personal, sondern auch im Umgang. Ein Algorithmus könnte Ressourcen effektiver bündeln und Aufgaben effizienter delegieren. Wer hat gerade freie Kapazitäten? Wer hat die besten Verkaufszahlen?

Diverse Ideen für den Einsatz

Die Watson Foundation wollte IBMs Supercomputer Watson, der durch seinen Sieg bei der Quizshow Jeopardy! für Furore sorgte, 2016 als US-Präsidentschaftskandidaten nominieren – nach dem Motto: lieber eine berechenbare Maschine als ein unberechenbarer Mensch im Weißen Haus.

Die Watson-KI übernimmt beim japanischen Lebensversicherer Fukoku Mutual Life bereits die Jobs einer ganzen Abteilung. Ironischerweise wird Watson zur Konkurrenz im eigenen Haus. "Könnte Watson (die IBM-Chefin, Anm. d. Red.) Ginni Rometty ersetzen?", fragte das Wirtschaftsmagazin Forbes. Doch die Frage ist, ob Menschen die Arbeitsanweisungen von Maschinen als legitim empfinden.

Akzeptanz- und Rechtsfragen

Wie würde der Angestellte reagieren, wenn die Software sagt: "Ab heute sind Sie nicht mehr für das Projekt zuständig." Oder: "Sie sind gefeuert!" Würde man das akzeptieren? Lässt sich das Direktionsrecht des Arbeitgebers auf Maschinen übertragen? Im Grunde werden auch die Uber-Fahrer von einem Computer kommandiert, der sie auf bestimmte Routen schickt und durch die algorithmische Preis- bzw. Tarifbildung den nicht gerade üppigen Lohn festsetzt. Auch sogenannte Pop-up-Arbeitgeber wie die Plattform Gigster, die automatisiert Freelancer (speziell Informatiker) zur Bildung von Softwareteams zusammenbringt, kommen bei der Personalrekrutierung ohne Chef aus. Mit der Blockchain-basierten Investmentfirma DAO gibt es bereits eine Organisation, die nur aus Code besteht – sie hat weder einen physischen Sitz noch einen Chef. Allein, gegen den maschinellen Determinismus ist schwer anzukommen – das Streikrecht läuft ins Leere.

Die Frage, ob es dereinst Roboterchefs geben wird, ist weniger eine technische als vielmehr eine rechtliche und kulturelle. In streng hierarchischen Gesellschaften wie Japan, wo die Robotik weit vorangeschritten ist, lässt man sich eher etwas von einem Bot diktieren als im ungebärdigen Frankreich. Mit automatisierten Entscheidungsstrukturen lassen sich Effizienzgewinne erzielen. Ob das der Unternehmenskultur zuträglich ist, ist aber fraglich. Über gesellschaftliche Konsequenzen wird auch noch viel zu diskutieren sein. (Adrian Lobe, 22.7.2017)