Polen, einst "Pfau und Papagei der Völker", schrieb ein Dichter, sei nun "fremder Mächte Magd". Oft aber ist das Eigene das Fremdeste.

Grafik: Felix Juliusz Grütsch-L'Arginin

Als ich vor einiger Zeit für den STANDARD einen Text mit dem Titel "Ist mein Polen schon verloren?" schrieb, erschien mir die Paraphrase der ersten Zeile der polnischen Nationalhymne selbst ein wenig hoch gegriffen, Ausdruck eines überspitzten Alarmismus. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass die Entwicklung in Polen meine schlimmsten Erwartungen bei weitem übertroffen hat.

Trotz massiver Proteste der Zivilgesellschaft, die Hunderttausende auf die Straßen führen, hat es die rechtspopulistische PiS-Regierung geschafft, wichtige Stützen der Demokratie, voran den Verfassungsgerichtshof, auszuhebeln und Polen in Richtung eines autoritären Staates zu lenken, mit PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski als starkem Mann an der Spitze. Einsam alle Entscheidungen treffend, unbeeinflusst von in- und ausländischen Ratgebern und Mahnern, ohne sich um die Regeln der Rechtsstaatlichkeit und die für eine Demokratie unerlässliche Gewaltentrennung zu kümmern. Ähnlichkeiten mit Putin oder Erdogan liegen auf der Hand.

Dass es in Polen, anders als in Russland, der Türkei oder auch Ungarn, noch kritische Medien gibt, die gegen die fortschreitende Zerstörung der Demokratie protestieren, ist Kaczynski und seinem Gefolge naturgemäß ein Dorn im Auge. Die öffentlich-rechtlichen Medien, Rundfunk und Fernsehen, haben sie weitgehend gleichgeschaltet, viele kritische Journalisten wurden gefeuert, andere eingeschüchtert. Jetzt kommen die privaten Medien dran, die oft eine viel größere Reichweite als die öffentlich-rechtlichen Medien haben, die von der Regierung zu öden Propagandamaschinen degradiert wurden, wie in Zeiten des Kommunismus.

Wie das funktioniert, wie kritische Journalisten unter Druck gesetzt werden, um sie mundtot zu machen, bekommt dieser Tage der Buchautor und Reporter Tomasz Piatek, zu spüren, der ein Buch über Verteidigungsminister Antoni Macierewicz und seine dubiosen Verbindungen zum Umfeld von Wladimir Putin und zu russischen Geheimdienst- und Mafiakreisen geschrieben hat. Macierewicz und seine Geheimnisse schlug in Polen ein wie eine Bombe, das Buch wurde zum Bestseller, obwohl Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums dem Autor sofort vorwarfen, sein Werk enthalte nichts als Lügen. Die meisten Enthüllungen waren schon vorher in der liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza publiziert worden, für die Piatek arbeitet, ohne dass der Minister oder seine Wachhunde darauf reagiert hätten. Doch jetzt soll's dem Autor an den Kragen gehen. Natürlich wird auch nicht mit persönlichen Angriffen gespart. Tomasz Piatek, so der Sprecher des Ministeriums, schreibe Unwahrheiten über Macierewicz und sei "seit 1997 von Heroin abhängig". Das hat mit den Enthüllungen zwar nichts zu tun, vor allem aber hat der Autor schon vor Jahren selber seine Sucht thematisiert, in dem vielbeachteten Roman Heroin. Inzwischen ist er nach eigenen Aussagen seit Jahren clean.

Der öffentlich bloßgestellte Verteidigungsminister, dessen rabiat antirussischer Kurs plötzlich in einem schrägen Licht erscheint, gab selber keine Erklärungen zu dem Enthüllungsbuch ab, sondern brachte gleich das schwerste Geschütz gegen den Journalisten in Stellung, eine Strafanzeige bei der Abteilung für militärische Angelegenheiten der Staatsanwaltschaft. Eine Maßnahme, mit der die Kommunisten gern gegen ihre Gegner vorgingen. Seit 1989 ist es in Polen jetzt zum ersten Mal, dass ein Amtsträger auf diese Weise gegen einen Kritiker vorgeht. Tomasz Piatek wird vorgeworfen, "Gewalt oder eine rechtswidrige Drohung mit der Absicht [angewendet zu haben], einen öffentlichen Amtsträger [ ...] zur Vornahme oder Unterlassung einer legalen offiziellen Handlung" genötigt zu haben. Darauf stehen bis zu drei Jahre Gefängnis. Weiters wird er beschuldigt, "ein Verfassungsorgan der Republik Polen öffentlich beleidigt oder erniedrigt" zu haben, wofür noch einmal bis zu zwei Jahre Gefängnis drohen.

Die Strafanzeige ist absurd und geht mit keinem Wort auf die Enthüllungen über den Minister ein. Sie ist einfach der so plumpe wie brutale Versuch, den Journalisten und die regimekritische Gazeta Wyborcza, für die er arbeitet, einzuschüchtern. So gehen Putin oder Erdogan gegen ihre Kritiker vor, die in der Regel gleich im Gefängnis landen. In Polen ist es noch nicht so weit, aber Kaczynski und sein Gefolge arbeiten eifrig daran, um in ihrem Land ähnliche Zustände durchzusetzen und alle demokratischen Sicherungen herauszuschrauben, zu denen auch die Freiheit des Wortes und die Pressefreiheit gehören.

Noch gibt es in Polen kritische Autoren und Journalisten, die nicht bereit sind, zu kuschen und den Schwanz einzuziehen, wenn einer der neuen Machthaber mit dem Fuß aufstampft. Im Gegenteil. Die beispiellose Drohgebärde von Macierewicz löste eine Welle der Solidarität aus, die Gazeta Wyborcza richtete einen "dringenden Appell" an die internationalen Medien, gegen die strafrechtliche Verfolgung ihres Kollegen zu protestieren, die einen zynischen Anschlag gegen die Pressefreiheit in Polen darstellt. Der Appell blieb nicht ungehört. Zahlreiche mit der Freiheit des Wortes beschäftigte NGOs, Reporter ohne Grenzen, Global Editors Network, Freedom House usw. protestierten scharf gegen die Verfolgung des Journalisten und warnten vor dem Abbau der Demokratie.

Mahnungen sind zu wenig

Die Affäre Piatek könnte sich zu einem Lackmustest für die polnische Demokratie entwickeln. Und zur Herausforderung für das freie Europa, die alarmierende Entwicklung in Polen genau zu verfolgen und beizeiten – dieses Stadium ist längst erreicht! – energische Maßnahmen dagegen zu ergreifen, dass in einem wichtigen Mitgliedsland der EU die Pressefreiheit mit Füßen getreten wird. Mit besorgten Briefen und Mahnungen, mit denen die EU sich bislang begnügte, wird es nicht getan sein. Von so etwas lassen sich Kaczynski und Macierewicz, einer seiner treuesten Handlanger, nicht beeindrucken. Wenn die EU nicht rasch handelt, ist Polen tatsächlich für das freie Europa verloren. (Martin Pollack, 21.7.2017)