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Auch am Sonntagabend demonstrierten Tausende Polen gegen die Justizreform. In der Hauptstadt Warschau und hundert weiteren Städten zogen die Menschen mit Kerzen vor Gerichtsgebäude.

Foto: Reuters/Agencja Gazeta

Berlin – Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat Polen nach der Verabschiedung der umstrittenen Justizreform im Parlament davor gewarnt, in der EU ins Abseits zu geraten. "Wer den Rechtsstaat so wenig achtet, nimmt in Kauf, dass er sich politisch isoliert", kritisierte der SPD-Politiker in der "Bild am Sonntag". Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán sagte dagegen der national-konservativen Regierung in Warschau Unterstützung zu, um mögliche Strafen der EU zu verhindern. Nach einer weiteren turbulenten Debatte hatte in der Nacht zum Samstag auch der polnische Senat zugestimmt – nun kommt es auf Präsident Andrzej Duda an, der die Reform noch in Kraft setzen muss.

Das Gesetz soll es der Regierung unter anderem ermöglichen, Richter am obersten Gerichtshof zu entlassen und zu ernennen. Gegen die Reform hatten seit Wochen Zehntausende Menschen in etlichen Städten protestiert.

Die Unabhängigkeit der Justiz sei in Polen in Gefahr, warnte Maas. Dem könne die EU nicht tatenlos zusehen, denn das Fundament der Europäischen Union seien Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Er begrüße daher, dass die EU-Kommission konkrete Sanktionen prüfe. Die Brüsseler Behörde droht Polen mit einem neuen Verfahren, das bis zum Stimmrechtsentzug führen könnte.

Orbán auf Polens Seite

Für einen solchen schwerwiegenden Schritt müssten sich jedoch die anderen EU-Staaten hinter die EU-Kommission scharen. Orbán sagte in einer vom ungarischen Fernsehen übertragenen Rede, Ungarn werde alle rechtlichen Möglichkeiten in der EU nutzen, mit den Polen Solidarität zu zeigen. Orbán liegt selbst mit der EU-Kommission über Kreuz. Im Juni hatte diese ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, Polen und Tschechien eröffnet, weil sie sich entgegen der Vereinbarungen in der EU nicht an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen wollen.

Beide Parlamentskammern in Warschau werden von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) dominiert. Die Debatte im Senat dauerte bis tief in die Nacht zum Samstag. In Warschau und in anderen Städten wurden währenddessen Mahnwachen abgehalten. Einige Demonstranten trugen polnische Fahnen und Europaflaggen. Andere hielten Plakate mit der Aufschrift: "Freie Gerichte". Auch im Senat wurde protestiert. Der Oppositionelle Jan Rulewski warnte in Häftlingskleidung: "Polen verwandelt sich langsam aber systematisch in ein Gefängnis."

Präsident muss Gesetz noch unterzeichnen

Präsident Duda, der von der PiS unterstützt wird, muss das Gesetz noch unterzeichnen. Einer Umfrage des Senders TVN zufolge fordern 55 Prozent der Befragten, dass Duda sein Veto einlegt. Für die Entscheidung hat er drei Wochen Zeit. Zuletzt hatte Duda formelle Widersprüche in dem Gesetz bemängelt.

EU-Vizepräsident Frans Timmermans hatte kürzlich gewarnt, sollte die Reform in der gegenwärtigen Form umgesetzt werden, würde dies sehr schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Gerichte haben: "Diese Gesetze verstärken die systemischen Bedrohungen für die Herrschaft des Rechts." Die Justiz würde unter die vollständige politische Kontrolle der Regierung kommen. Die EU-Kommission will sich in der kommenden Woche erneut mit dem Thema befassen. Sie könnte ein neues Verfahren nach Artikel 7 des Vertrages von Lissabon einleiten. Danach ist eine Suspendierung der EU-Stimmrechte möglich, wenn ein Staat in schwerwiegender Weise die Grundwerte der EU verletzt, darunter Rechtstaatlichkeit, Freiheit, Demokratie und Achtung der Menschenrechte. (APA, 23.7.2017)