Nicht erst seit der Abwahl von Peter Pilz gibt es grün-interne Debatten.

Illustration: Fatih Aidogdu

Es ist ein Urteil, das Grüne schmerzen muss. Als aufmüpfige Widerstandsbewegung, die der Politik den autoritären Mief austreiben wollte, waren sie vor 30 Jahren ins Parlament eingezogen – und müssen sich heute vorhalten lassen, zum glatten Gegenteil verkommen zu sein. "Meine grüne Partei", sagt Peter Pilz, "ist zur Altpartei geworden."

Biegt sich da das Gründungsmitglied ein Argument zurecht, um die Kandidatur mit einer eigenen Liste zu rechtfertigen? Oder bringt es der Befund auf den Punkt, woran die Grünen kranken?

Diktat von oben

Dass sich Erwin Pröll, Inbegriff des herrischen Machtpolitikers, bei den Grünen wohlgefühlt hätte, sagt nur Pilz. Doch von einem Diktat von oben berichten auch Abgeordnete, die keine Freunde des Abtrünnigen sind: Initiativen seien immer wieder erstickt, parlamentarische Aktivitäten ignoriert, Diskussionen abgedreht worden – nach einem bewährten Motto: Deckel drauf!

Was die Verantwortlichen für einen professionellen, einheitlichen Auftritt hielten, fassten Unzufriedene als Angepasstheit auf. Der mittlerweile abgetretene Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner und der parlamentarische Geschäftsführer Dieter Brosz hätten Umfragewerte zum Maßstab jeder Idee erkoren, die im Mai zurückgetretene Parteichefin Eva Glawischnig habe diese Linie nach außen verkörpert. "Regierungsfähigkeit durch Anbiederung", nennt das eine Abgeordnete.

"Ich habe mich immer geärgert, wenn wir der Regierung Mutlosigkeit vorgeworfen haben", sagt der wie Pilz bei der Kandidatenkür für die Wahl gescheiterte Budgetsprecher Bruno Rossmann, "denn getraut haben wir uns selbst zu wenig. Und mit jeder Regierungsbeteiligung in den Ländern wurde es schlimmer." Als "unbeweglich" hat der Mandatar, der eine Kandidatur für Pilz überlegt, die Partei in der Verteilungsfrage – Stichwort sinkende Reallöhne – erlebt: Die Grünen hätten diese nicht entschlossen thematisiert – aus Angst, mit dem Ruf nach Vermögenssteuern Wähler zu verschrecken.

Abstiegsängste negiert

Der Autor Klaus Werner-Lobo, der für die Grünen fünf Jahre im Wiener Gemeinderat saß, hält die Vernachlässigung der "sozialen Frage" für den Kardinalfehler der vergangenen Jahre, denn nichts elektrisiere so viele Menschen wie die grassierenden Abstiegsängste. "Doch die Grünen haben lieber ,Bio macht schön' auf ihre Plakate geschrieben," sagt Werner-Lobo, der Konfliktwille und Problembewusstsein vermisst: "Das Klischee von den Grünen als gutbürgerliche Besserverdiener ist leider nicht ganz falsch."

Das ständige Schielen auf eine Regierungsbeteiligung habe die Grünen auf Bundesebene in eine Identitätskrise gestürzt, glaubt der Politologe Peter Filzmaier. Die Grünen erwuchsen aus einer sozialen Bewegung, verstanden sich dann als Oppositionspartei, um Anfang der 2000er-Jahre den Wandel hin zur potenziell staatstragenden Partei zu vollziehen. Doch nun, wo eine Regierungsbeteiligung "unwahrscheinlich bis unrealistisch" sei, "bietet diese Position keine Perspektive mehr", befindet Filzmaier: "Sagen wir so: Wenn Sie fünfzehn Jahre lang auf Partnersuche sind und keinen finden, dann haben Sie wohl auch eine Sinnkrise, oder?"

Gefährliche Lage

Für die kommende Wahl sei die Lage "gefährlich", sagt der Politologe, denn warum solle man die Grünen wählen? Viele Wähler könnten sich denken: "Ich will das Rennen um Platz eins beeinflussen, und reinkommen werden sie schon." Und dann ist da noch jener Stil, der den Grünen den Ruf der Abgehobenheit eingebracht hat: "Abstrakt über Werte zu reden mag ehrenwert sein. Ich bezweifle aber, dass ein Wertewahlkampf bei dieser Wahl machbar ist." Vielmehr gehe es darum, konkrete Auswirkungen für das Alltagsleben der Menschen zu verdeutlichen.

Inhaltlich wirken die Grünen auch deshalb farblos, weil sie sich aus Rücksicht auf den Präsidentschaftswahlkampf von Alexander Van der Bellen ein Jahr lang im Hintergrund gehalten haben – nichtsdestotrotz aber viel investierten. "Nun fehlt das Geld für Zwischenkampagnen", sagt Filzmaier: "Finanziell erwischt sie die Wahl zum falschen Zeitpunkt."

Dazu gesellen sich Probleme, die gerade deshalb existieren, weil die Grünen nicht nach konventionellem Schema funktionieren. Die Chefs in Bund und Ländern haben weit weniger Möglichkeit, Wunschkandidaten auf den Listen für die Wahlen durchzudrücken, als das in SPÖ und ÖVP der Fall ist. Letztlich entscheidet die Parteibasis – und das nicht immer nach einer Logik, die der Außenwirkung der Partei nützt. Beliebt sind oft jene, die eher bei der Betreuung der eigenen Funktionärsschar auf Bezirksfesten auffallen statt in Parlament und Medien.

Eine Partei ist eine Partei

Letztlich gelte aber, was der Publizist Günther Nenning schon in der grünen Geburtsstunde festgestellt habe, sagt das Gründungsmitglied Walter Geyer: "Eine Partei ist eine Partei ist eine Partei. Damit hat er wohl einiges vorweggenommen." Eine Partei brauche bestimmte Strukturen, "und das bedeutet Statuten- und Machtkämpfe. Man kann das sicher ,Verkrustung' nennen. Hier haben sich die Grünen immer weniger, zum Schluss gar nicht mehr von anderen Parteien unterschieden."

In der jetzigen Situation, so der einstige Antikorruptionsstaatsanwalt, könne er nur sagen: "Die Grünen sollten sich neu erfinden." Für ihn ist der Partei das Hauptthema – der Umweltschutz – abhandengekommen. "Die Sozialisten hatten immer als wichtigstes Thema die soziale Frage. Das Kernthema der ÖVP war wiederum die Wirtschaft. Die Grünen haben es hingegen nicht geschafft, die Qualität der Umwelt zu einem ähnlich zentralen Thema zu machen", sagt Geyer. Aber daran seien letztlich alle schuld, die an diesem Projekt mitgearbeitet hätten: "Auch Peter Pilz." (Gerald John, Peter Mayr, 24.7.2017)