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Zwei Flüchtlinge schwimmen im Mittelmeer zu einem Rettungsschiff einer NGO, etwa zwölf Seemeilen von der libyschen Küste entfernt – also am Rand der der libyschen Hoheitsgewässer.

Foto: AP / Santi Palacios

Frage: Die italienische Regierung lud neun im Mittelmeer tätige NGOs ins Innenministerium ein, um einen Verhaltenskodex zu besprechen, am Freitag sollen die Verhandlungen weitergehen Was steht da drin?

Antwort: In dem Verhaltenskodex, dessen Endfassung dem STANDARD vorliegt, sind zwölf Regeln enthalten. Die wichtigsten: NGOs dürfen nicht in libysche Hoheitsgewässer eindringen, außer es handelt sich um eine Notlage, in der Hilfe benötigt wird; Rettungsschiffe dürfen ihre Schiffstransponder, durch die ihre Position geortet wird, nicht abschalten; sie dürfen auch keine Lichtsignale abgeben, um Flüchtlingsbooten die eigene Position zu verraten. Unterschreiben die NGOs den Kodex nicht oder halten sie sich nicht daran, könnten die italienischen Häfen für sie gesperrt werden, sofern es nicht ein Notfall ist.

Frage: Dringen NGOs tatsächlich in libysche Hoheitsgewässer ein, wie ihnen unter anderem Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) vorwirft, um dort Flüchtlinge "von den Schleppern direkt zu übernehmen"?

Antwort: Zeit Online hat zwei Wochen lang die öffentlich verfügbaren Signale der Schiffstransponder aller im Mittelmeer tätigen NGO-Schiffe analysiert. Fazit: Lediglich zweimal überquerten Rettungsschiffe die Zwölf-Seemeilen-Grenze (22,224 Kilometer) für einen Einsatz, ansonsten hielten sie sich in internationalen Gewässern auf. Die betroffenen NGOs meinten, sie taten dies auf Anweisung der italienischen Rettungsleitstelle in Rom (MRCC). "Wir wollen aus Sicherheitsgründen gar nicht da hinein, aber wenn das MRCC uns zu einem Notfall hinruft, haben wir keine andere Wahl", sagt Ruben Neugebauer von der im Mittelmeer tätigen NGO Sea-Watch zum STANDARD. Tatsächlich ist die Rettung auf hoher See ein altgedienter Grundsatz des Seerechts, erklärt der österreichische Völkerrechtler und Seerechtsexperte Gerhard Hafner. Dieser Grundsatz besagt, dass Personen in Seenot zu Hilfe zu eilen ist, wenn man von ihrem Hilfsbedürfnis erfährt. Eine Ausnahme gibt es nur dann, wenn das angefunkte Schiff sich selbst in ernsthafte Gefahr bringen würde.

Frage: Tatsächlich kam auch heraus, dass es Lücken bei den Signalen der Schiffstransponder der NGO-Schiffe gibt. Schalten sie wirklich ihre Transponder aus, wie Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière vermutet, um so "ihre Position zu verschleiern" und heimlich in libysche Hoheitsgewässer einzudringen?

Antwort: Grundsätzlich ist jedes Schiff verpflichtet, einen Schiffstransponder, eine AIS-Anlage (Automatic Identification System), an Bord zu haben. Und die NGOs halten sich auch daran, meint Hans-Peter Buschheuer von der NGO Sea-Eye: "Wenn ein Signal fehlt, dann nur deshalb, weil unser Schiffsmast nicht so hoch ist, die Reichweite deshalb geringer ist und das Signal einfach nicht ankommt." Christian Kiffmann kann dies bestätigen. Der technische Leiter für nautische Simulation am Maritimen Zentrum der Hochschule Flensburg erklärt, dass "bei kleineren Schiffen mit einem zwölf bis 15 Meter hohen Mast eine Reichweite von gerade einmal 20 Seemeilen schon sehr gut wäre" – also bei kleineren Schiffen, wie sie unter anderem NGOs verwenden. Aufgrund dieser geringen Reichweite kann es durchaus sein, dass das analoge AIS-Signal einmal nicht ankommt.

Frage: Wie realistisch ist es, dass NGOs mit Schleppern via Lichtsignalen kommunizieren, wie ihnen vorgeworfen wird?

Antwort: Nachts werden, wie es das Seerecht verlangt, Positionslichter eingeschaltet, außerdem verfügt jedes Schiff über einen vorgeschriebenen Suchscheinwerfer. Die Positionsbeleuchtung, erklärt Kiffmann, sei, abhängig von der Art des Schiffes, zwei bis fünf Seemeilen sichtbar. "Mit normalen Suchscheinwerfern ist eine Suche von Personen im Meer bis zu einer Seemeile möglich. Sichtbar sein können sie, abhängig vom Wetter, fünf bis zehn Seemeilen." Neugebauer von Sea-Watch betont, dass die Suchscheinwerfer nur eingeschaltet werden, wenn nachts gezielt nach Schiffbrüchigen gesucht wird.

Frage: NGOs, die den Verhaltenskodex nicht unterzeichnen oder sich nicht daran halten, droht eine Hafenblockade. Ist das erlaubt?

Antwort: Für fremde Schiffe gibt es keinen allgemeinen Anspruch auf Zugang zu jeglichen Seehäfen, sagt Völkerrechtler Gerhard Hafner, "da ein Hafen Bereich der maritimen Eigengewässer ist und der vollen Souveränität des Hafenstaates unterliegt". Im Verhaltenskodex sind Notfälle aber ausgenommen. Die offene Frage dabei bleibt, ob ein Rettungsschiff voller Flüchtlinge ein Notfall ist oder nicht. Dies müssten dann die italienischen Behörden entscheiden.

Frage: Wieso bringen die NGO-Schiffe die geretteten Flüchtlinge eigentlich nicht ins nähergelegene Libyen?

Antwort: Grundsätzlich weist die Rettungsleitstelle in Rom die NGO-Schiffe an, in welche italienischen Häfen sie einfahren sollen. Flüchtlingsboote senden deshalb auch immer ihren Notruf nach Italien ab, um zu gewährleisten, dass die Geretteten nach Europa gebracht werden. NGOs weigern sich, Flüchtlinge nach Libyen zurückzubringen, mit dem Argument, dass ihnen dort Folter oder unmenschliche Behandlung droht. Laut Seerecht müssen gerettete Personen zu einem sicheren Hafen gebracht werden, wobei der "Place of Safety" laut Hafner aber nicht genau definiert ist.

Frage: Der Verhaltenskodex ist eine Reaktion auf die gehäuften Vorwürfe gegen NGOs, dass sie angeblich mit Schleppern zusammenarbeiten. Wird in der Hinsicht auch ermittelt?

Antwort: Der Verteidigungsausschuss des italienischen Parlaments hat sich monatelang mit dem Thema befasst, konnte aber keine Beweise für eine Verbindung zwischen NGOs und Schleppern finden. Der sizilianische Staatsanwalt Carmelo Zuccaro warf den NGOs in verschiedenen italienischen Medien vor, mit den Schleppern zu kooperieren, mittels Lichtsignalen zu kommunizieren bzw. gar von Schlepperbanden finanziert zu werden. Seine Ermittlungen dauern ebenfalls schon Monate an, Beweise für seine Vorwürfe konnte er bis heute nicht vorlegen. (Kim Son Hoang, 25.7.2017)