Maria Vassilakou: "Die Urabstimmung zum Heumarkt wurde zu einem Zeitpunkt eingeleitet, als das Projekt nicht mehr zu stoppen war."

Regine Hendrich

Maria Vassilakou hat die grüne Basis verärgert. Doch: "Wer es allen recht machen will, überlebt in der Politik nur kurz."

Regine Hendrich

STANDARD: Am Dienstag gab Ihr Ex-Parteikollege Peter Pilz die Kandidatur mit einer eigenen Liste bei der Nationalratswahl bekannt.

Vassilakou: Ich denke, das war ein Plan, den er seit längerem hegte.

STANDARD: Heißt das, die Kandidatur für einen Platz auf der grünen Liste war nur Show?

Vassilakou: Ich möchte nicht darüber spekulieren. Aber ich mache mir meine Gedanken.

STANDARD: Was bedeutet die Kandidatur für die Grünen?

Vassilakou: Unerfreulich ist es zweifelsohne. Mir gibt aber zu denken, dass alle sich seit Wochen nur noch mit dieser Chose beschäftigen, die für das, was am 15. Oktober für die Republik auf dem Spiel steht, ein Nebenschauplatz ist. Bei der Wahl wird nicht nur die Zukunft Österreichs, sondern auch jene Europas entschieden. Es droht ein schwarzer Kanzler mit blauem Vize, ein isoliertes Österreich, eine Krise für Europa. Starke Grüne können das Zünglein an der Waage sein, um Schwarz-Blau zu verhindern.

STANDARD: Wird Ihr Ziel, Schwarz-Blau zu verhindern, durch die Abspaltung nicht erschwert?

Vassilakou: Ja. Insofern geht es darum, die Zeit bis zur Wahl nicht mit Lamentieren zu verbringen, oder damit, wer wem ins Wadel gebissen hat und wie laut der andere aufgeschrien hat, sondern darüber zu reden, was wesentlich ist: Es wird eine unbeirrte Stimme für Menschenrechte, Klimaschutz und die Mietrechts- und Schulreform brauchen – in einem Nationalrat, wo SPÖ, ÖVP und FPÖ etwa gleich stark sein werden und absolut verwechselbar, wo Hans Peter Doskozil (SPÖ), Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) dasselbe sagen.

STANDARD: Wie soll man wissen, welche Grünen man wählen soll?

Vassilakou: Ich kann nur dafür werben, die Kraft, die in den vergangenen Jahren diese Rolle zuverlässig erfüllt hat, auch weiterhin zu stärken.

STANDARD: Pilz hat diese Rolle oft erfüllt.

Vassilakou: Was ich zuletzt von ihm mitbekommen habe, finde ich aber recht widersprüchlich.

STANDARD: Etwa?

Vassilakou: Es ist ein Widerspruch, zu sagen, man will Stimmen von der FPÖ holen und sich so aufzustellen, wie er es gerade getan hat. Das Horrorszenario wären geschwächte Grüne und dass Peter Pilz den Einzug verfehlt. Freiheit, Menschenrechte und soziale Sicherheit werden von ÖVP und FPÖ massiv angegriffen, mit dem Ziel, die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu vernichten. Gerade jetzt braucht es starke Grüne.

STANDARD: Auch in der Vergangenheit waren Sie nicht immer einer Meinung mit Pilz.

Vassilakou: Ich habe bei meinen ersten Schritten in der Politik sehr viel von ihm gelernt. Er war derjenige, der mich zu den Grünen holte. Ich war oft einer Meinung mit ihm, dann auch wieder nicht. Ich habe oft gehört, wie er eine Sache sagte und später wieder das Gegenteil davon.

STANDARD: Das haben Sie auch an SPÖ, ÖVP und FPÖ kritisiert.

Vassilakou: Ich bin nicht da, um Pilz zu kritisieren, und auch nicht, um ihn zu loben. Ich habe keine Freude mit seiner Entscheidung. Was mich nachts wachhält, ist: Ich will keine Regierung mit einem Meister des Machtzynismus und der Flachwurzelei als Kanzler und einem Kompagnon als Vize, der für rechts außen steht.

STANDARD: Wäre eine Regierungskonstellation mit den Grünen und der Liste Pilz für Sie denkbar?

Vassilakou: Ich bin dem Peter nix gram. Ich wünsche ihm das Beste, aber nicht auf Kosten der Grünen.

STANDARD: Was befürchten Sie für Wien?

Vassilakou: Eine schwarz-blaue Regierung würde den Angriff auf Wien blasen. Der Wiener Bevölkerung droht dann eine Privatisierungswelle, der Verkauf der Gemeindewohnungen und die Demolierung des sozialen Netzes.

STANDARD: Wie sehen Sie Ihre Rolle im Wahlkampf?

Vassilakou: Mir ist eine Mietrechtsreform das Wichtigste. Das ist eine unerledigte Aufgabe, die von der ÖVP seit Jahren blockiert wird. Das zahnlose Mietrecht hat in Wien ermöglicht, dass die Mieten davongaloppiert sind und Wohnungen am freien Markt für junge Familien unleistbar geworden sind. Der einzige Weg sind klare Mietzinsobergrenzen – für Wien wären 7,50 pro Quadratmeter angemessen. Ich nehme nicht hin, dass wir von der Bundespolitik veräppelt werden. Die nächste Regierung muss das Thema rasch angehen. Wenn das Thema wieder in einem Arbeitskreis begraben wird, dann werden wir die Bürger zu Wort kommen lassen.

STANDARD: Per Volksbefragung?

Vassilakou: Ich möchte mich noch nicht darauf festlegen, ob Volksbefragung oder ein anderes direktdemokratisches Element.

STANDARD: Sie sind mit dem Heumarktprojekt in Kritik geraten. Wie gewinnen Sie das Vertrauen der grünen Basis zurück?

Vassilakou: Wir wollen sicherstellen, dass künftig alle rechtzeitig die Möglichkeit haben, sich einzubringen und wir nie mehr mit einer Situation konfrontiert sind, wo sich Widerstand gegen ein Projekt regt, wenn es zu spät ist.

STANDARD: Die Grünen Innere Stadt waren von Beginn an dagegen.

Vassilakou: Und die Grünen im dritten Bezirk waren dafür. Und die Urabstimmung wurde zu einem Zeitpunkt eingeleitet, als das Projekt so weit gediehen war, dass es nicht mehr zu stoppen war. Das war unerfreulich für alle.

STANDARD: Sie haben viele verärgert. Wie sicher fühlen Sie sich auf ihrem Posten?

Vassilakou: Wer es allen recht machen will, überlebt in der Politik nur kurze Zeit. Ich handle nie nach dem Prinzip, wen ich verärgern könnte, sondern danach, was mein Gewissen mir sagt.

STANDARD: Wien steht jetzt auf der Roten Liste der Unesco.

Vassilakou: Es gilt, den Dialog mit der Unesco fortzuführen. Auch in Rücksprache mit anderen Städten, die in einer ähnlichen Situation waren oder sind wie wir – etwa Köln oder Liverpool. Eine Lösung kann nur gelingen, wenn sich auch die Unesco bewegt. Bleibt sie bei ihrer starren Interpretation des Welterbeschutzes, wird die Rote Liste wachsen.

STANDARD: Es sollten schon Ende 2016 Alternativen zum Lobautunnel präsentiert werden. Warum ist das noch nicht passiert?

Vassilakou: Es zeigte sich, dass die Experten länger brauchen. In Anbetracht dessen, dass nicht so bald mit einer Entscheidung (des Bundesverwaltungsgerichts, Anm.) zu rechnen ist, sehe ich keinen Zeitdruck. Wir können abwarten.

STANDARD: Der Tunnel hat bereits – obwohl er vielleicht gar nicht gebaut wird – 45 Millionen Euro an Vorarbeiten gekostet.

Vassilakou: Schade. Das Geld hätte ich gerne in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs gesteckt. (Oona-Allegra Kroisleitner, Christa Minkin, 27.7.2017)