Wer die St.-Paul's-Kathedrale in London betreten will, zahlt fünfzehn Pfund Eintrittsgeld. Er wolle eigentlich nur "a little prayer to God" loswerden, sagt der Besucher aus Österreich zum Mann an der Kasse. Zum Beten in die Kirche? Gibt's denn so was? Der Ticketverkäufer ist so verblüfft, dass er den seltsamen Gentleman gratis hereinlässt.

Dass man für einen Besuch in einer berühmten Kirche zahlen muss, ist mittlerweile vielerorts üblich, auch in Österreich. In der Wiener Karlskirche zahlt man Eintritt, und für einen Besuch im Stift Klosterneuburg muss man gleich dreimal Tickets kaufen, für das Stiegenhaus, die Kaiserappartements und die Kirche. Über den Markusplatz in Venedig schlendern und die Tauben füttern? Nicht ohne Eintrittskarte. Die Zeiten, als man etwas Schönes oder Interessantes gratis genießen durfte, sind offenbar vorbei.

Dabei ist gerade das reizvoll an schönen Orten, Landschaften, Bauwerken: dass sie für alle da sind, allen offenstehen, keine "Sehenswürdigkeiten" im Dienste des Tourismus sind, sondern selbstverständlicher Teil der Umwelt, für Einheimische wie Fremde, Arme wie Reiche. Herrlich, zufällig in eine Dorfkirche im Südtiroler Vinschgau hineinzugeraten und unverhofft vor prachtvollen romanischen Fresken zu stehen. Unvergesslich, in der Südtürkei aufgrund eines Geheimtipps die Reste einer antiken griechischen Stadt "entdeckt" zu haben, brennnesselüberwuchert, samt Tempel und Arena. Kein Tourist weit und breit. Ob dort mittlerweile auch schon Autobusparkplätze sind, Souvenirkioske und natürlich eine Besucherkasse?

Es ist seltsam: Alles, was gleichsam offiziell zur Touristenattraktion erklärt wird, verliert seine Unschuld und auch etwas von seinem Zauber. Das wunderschöne Städtchen Hallstatt wird neuerdings von chinesischen Gruppenreisenden überschwemmt, weil es in China ein nachgebautes Hallstatt gibt. Jetzt wollen die Leute sehen, ob das Original genauso schön ist. Aus den Stadtzentren von Barcelona und Prag ziehen die Einheimischen weg; ihre vom internationalen Massentourismus gekaperten Heimatstädte gefallen ihnen nicht mehr.

Auch aus Literatur und Musik kann man, wenn man sie durch die Tourismusmaschine dreht, Umweggeld machen. Jane Austens Geburtstag jährt sich zum zweihundertsten Mal? Führungen durch ihre Wohnsitze werden angeboten. Da braucht man ihre Bücher gar nicht mehr zu lesen. Verfilmungen und Werbeprospekte genügen. Längst verdient die Autorin der Harry-Potter-Bücher weit mehr durch Harry-Potter-Spiele, -T-Shirts, -Kostüme und Führungen durch die Potter-Filmstudios als durch die Originalgeschichten. In Österreich ist natürlich Mozart das große Zugpferd, in Gestalt von Mozartkugeln, Mozartpüppchen und Prospektverteilern im roten Frack und mit Rokokoperücke. Wann werden wir für einen Besuch in Salzburg oder für einen Bummel über den Wiener Graben Geld verlangen?

Aber es gibt Trost. Manche Sachen kann man einfach nicht kaputtmachen, auch nicht durch noch so viel Kitschkopien und Werbegetöse. Man kann sich in einen schattigen Garten setzen und in aller Ruhe "Stolz und Vorurteil" lesen. Man kann eine Mozart-CD auflegen und zuhören. Ganz ohne Eintrittskarte. Kostet so gut wie nichts. Und ist das Allerschönste. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 26.7.2017)