Alles "richtig" in der Plastikwelt: Junges Paar küsst sich, älteres Paar kuschelt. Im wirklichen Leben geht's komplizierter zu – Tabus sollte es dabei in keinem Fall geben.

Foto: Berlin Verlag

Zuerst einmal war da Unbehagen angesichts eines verstörenden TV-Beitrags: Die "ZiB 2" berichtete am Dienstag über einen Artikel des Magazins "Das Biber", in dem von sexueller Ausbeutung junger männlicher Flüchtlinge durch ältere österreichische Frauen, zumeist "Flüchtlingshelferinnen", die Rede war.

Der Bericht gab ziemlich detailgetreu die "Biber"-Recherchen wieder, man sprach auch mit der Journalistin, die den Bericht geschrieben hatte, und mit einem männlichen Flüchtlingshelfer, der berichtete, dass ihm wiederum berichtet worden sei, dass dies unter "seinen" Schützlingen "schon immer wieder ein Thema" sei. Der "ZiB"-Redakteur bemühte sich insofern um Einordnung, als er am Ende des Beitrags auch darauf hinwies, dass es mehrheitlich immer noch Männer seien, die für Sex bezahlen und/oder den "Sugardaddy" spielen.

Zurück blieben dennoch ein flaues Gefühl und die dunkle Ahnung, dass dieser Bericht, zumal in der reichweitenstarken "ZiB 2" publiziert, das ohnehin schon durch zahlreiche Attacken beschädigte Image von Flüchtlingshelfern weiter untergräbt. Zu den üblichen Verdächtigungen ("NGO-Wahnsinn", "Helfen nur den Schleppern", "Sehen die Welt eindimensional", "Überschreiten Grenzen" ...) wird sich jetzt wohl auch noch "Wollen nur Sexsklaven" gesellen. Das könnte bitter werden, zumal im anlaufenden Wahlkampf, der bereits jetzt zu allertiefsten Befürchtungen Anlass gibt.

Sorgfältige Recherche

Gegen den Blues half freilich die Lektüre des Ursprungsartikels (sieht man einmal von den nachgestellten Szenenfotos ab). Die Autoren Melisa Erkurt und Bilal Albeirouti haben bei ihren Recherchen eigentlich alles richtig, weil alles sorgfältig gemacht: Sie haben sich nicht nur auf die Erzählung einer Person gestützt, sie haben drei unterschiedliche Schicksale beschrieben, ausgewiesen, dass sie mit sechs Männern geredet und noch weitere fünf Fälle an der Hand gehabt haben. Sie schreiben von ihren Schwierigkeiten, über dieses Thema mit Psychologen und Flüchtlingshelfern zu reden, sowie der Unmöglichkeit, mit den betroffenen Frauen ("Sugarmamas") in Kontakt zu treten. Sie machen ihre Verunsicherung öffentlich, weil ihnen jemand aus einer Hilfsorganisation vorwirft, sie verliehen so einem "Marginalthema eine maximale Öffentlichkeit"; sie haben Skrupel, weil sie weder Männerfantasien noch Klischees über emanzipierte Frauen bedienen wollen.

Aber sie wollen darüber schreiben, dass ein solcher "Deal" zwischen jungen Männern, die in einer schwachen Position in einem fremden Land leben, und einheimischen, sozial und finanziell etablierten Frauen nicht immer eine faire "Win-win-Situation" ist.

Das ist journalistisch okay. Problematischer ist diesbezüglich der Folgebericht in der "ZiB 2", der eben nichts Neues zum Thema lieferte, aber das Thema (auch aus Zeitgründen) verkürzte. Ein Beitrag in einer aktuellen Nachrichtensendung kann nicht die Hintergründigkeit und Tiefe haben, die einerseits dem schwierigen Thema geschuldet wäre, andererseits aber auch ein anderes Format erfordert hätte. Die "Schauplatz"-Redaktion etwa ist prädestiniert für komplexe und schwierige Geschichten, dem Team wird auch Zeit gegeben, eine Geschichte mit gründlicher Eigenrecherche erst zu einer Geschichte zu machen.

Mentale Gräben

Die Sugarmama-Geschichte passt insofern gut zu den jüngsten Erkenntnissen des Leipziger Medienwissenschafters Michael Haller, der in einer großangelegten Studie die "Flüchtlingskrise in den Medien" untersucht hat. Haller hat unter anderem herausgefunden, dass die etablierten Medien viel zu wenig auf eigene, authentische Recherche gesetzt – und sich viel zu sehr auf den von den Regierungsparteien vorgegebenen "common sense" verlassen und das parteipolitische Hickhack wiedergegeben haben. Eine "Dysfunktion des Informationsjournalismus" nennt das der Experte, das habe die "mentalen Gräben" in der Gesellschaft noch verstärkt. Es wird auch kritisch angemerkt, dass viele mediale Berichte über das Megathema "Flüchtlinge" einfach nur deshalb existieren, weil sich Medien auf die Berichterstattung jeweils anderer Medien beziehen. Das hat im beschriebenen Fall auch die "ZiB 2" getan, was der ernsten Thematik nicht wirklich gerecht wird.

Es ist richtig, dass Journalismus auch und besonders über Tabuthemen berichtet. Es ist wichtig, dass er das möglichst authentisch tut – mit viel Eigenrecherche und möglichst nicht nur mit Infos aus zweiter oder gar dritter Hand. (Petra Stuiber, 27.7.2017)