Viele Wohn- und Gewerbeeinheiten stehen in Österreich leer.

Ayham Youssef

Mara Verlic (31) ist Stadtsoziologin. Sie forscht zu Gentrifizierung, Leerstand und sozialer Wohnversorgung und ist Co-Autorin der Wiener Studie "Perspektive Leerstand".

Foto: privat

STANDARD: Warum ist Leerstand ein Problem?

Verlic: Zum einen wird sichtbarer Leerstand – also etwa leere Geschäftslokale – als Problem empfunden. Das ergibt ein deprimierendes Stadtbild, eines von ökonomischem Niedergang. Die andere, wichtigere Seite ist, wenn es Leute gibt, die auf der Suche nach Raum sind – ob Wohn- oder Arbeitsraum -, und ihnen Leerstand gegenübersteht. Dann ist das ein sozialer Missstand.

STANDARD: Bei Leerstand schwingt immer der Vorwurf mit, dass Eigentümer dort ihr Geld parken wollen.

Verlic: Es gibt unterschiedliche Gründe: wenn es zum Beispiel nicht genug Nachfrage für Wohnungen gibt, wie in schrumpfenden Städten. In Wien gibt es diesen strukturellen Leerstand nicht, sondern einen hohen Bedarf an leistbarem Wohnraum. Dann kann der Grund ein spekulativer sein: Vielleicht erwartet man die Aufwertung des Stadtteils, und dass man zu einem späteren Zeitpunkt höhere Miet- oder Verkaufspreise erzielen kann. Leerstand kann es aber auch innerhalb eines Wohnhauses geben. In Wien sieht man das immer öfter in Gründerzeithäusern: Eigentümer versuchen die Mieter zum Auszug zu bewegen, und einige Wohnungen in dem Haus stehen inzwischen lange Zeit leer. Es gibt aber auch Formen von Leerstand, die weniger auf Profit ausgerichtet sind: Man lässt eine Wohnung etwa fürs Enkelkind leer stehen.

STANDARD: Die Stadt Wien rechnet mit rund 10.000 langfristig leeren Wohnungen bei einem Gesamtbestand von mehr als einer Million. Ist das viel?

Verlic: 10.000 ist relativ gering, aber man muss auch sehen, wie diese Erhebung gemacht wurde. Sie basiert auf einem Abgleich mit dem Melderegister – das ist sehr ungenau. In Salzburg etwa wurde mit dem Stromanbieter kooperiert. Unter einem bestimmten Kilowattverbrauch wurde angenommen, dass das Objekt nicht benutzt wird. Das wäre eine Form, die auch für Wien aussagekräftigere Daten liefern würde.

STANDARD: In Wien kursieren Leerstandszahlen von bis zu 100.000. Kann das stimmen?

Verlic: Mir wäre nicht bekannt, dass das eine faktenbasierte Schätzung ist. Die Stadt wird versuchen, die Zahl niedrig anzusetzen, von anderen Seiten wird das Gegenteil probiert. Leerstand ist ein politisch umkämpftes Thema. Das Missverhältnis stößt vielen Menschen unterschiedlicher politischer Couleur auf. Doch was man dagegen machen kann, da gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Es gibt die, die sagen, man soll nicht eingreifen. Da geht es um das Recht auf Eigentum. Andere sagen, bei sozialen Missständen sei einzugreifen.

STANDARD: Könnten Abgabe und Meldepflicht zu einer Reduktion von Leerstand führen?

Verlic: Es wäre ein wichtiger Schritt. Mehr ungenutzte Wohnungen würden gemeldet, Leute kämen stärker unter Druck, zu vermieten. Ja, es wäre schwer zu überprüfen, aber ich würde nicht davon ausgehen, dass die Vorschrift ignoriert wird. Es kann kein Argument sein, zu sagen, das wird eh nicht eingehalten.

STANDARD: Gibt es noch weitere Möglichkeiten zur Reduktion?

Verlic: Spekulativer Leerstand ist in größerem Zusammenhang zu denken. Da geht es um die Frage, wie der private Wohnungsmarkt reguliert sein sollte. Wenn man die Möglichkeiten einschränkt, mit Mieten Profit machen zu können, gibt es auch keinen Anreiz für spekulativen Leerstand. Ein ganz wichtiger Punkt wäre eine Reform des Mietrechtsgesetzes. Wie derzeit Mieten kalkuliert werden, ist sehr schwammig. Es gibt ein undurchsichtiges System an Zuschlägen; Stichwort Lagezuschlag. Das sind Faktoren, die ermöglichen, dass relativ hohe Mietpreise verlangt werden können.

STANDARD: Wäre der Wohnraumbedarf durch den Bestand zu decken?

Verlic: In Wien sind mindestens 10.000 zusätzliche leistbare Wohnungen pro Jahr nötig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das zur Gänze aus dem aktuellen Bestand decken könnte – es ist wichtig, dass weiterhin geförderter Wohnbau entsteht. Ein Teil könnte jedoch sicher aus dem Bestand gedeckt werden. Es ist aber eine schwierige Frage, denn dazu müsste man eben wissen, wie hoch die Leerstandszahl tatsächlich ist. (Christa Minkin, 28.7.2017)