Der ehemalige EU-Kommissars Franz Fischler spricht sich für neue Sanktionsmechanismen aus.

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Wien/Alpbach – Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 fällt nach Einschätzung des ehemaligen EU-Kommissars Franz Fischler in eine "sehr schwierige und äußerst arbeitsintensive Phase": "Ich glaube, es hat noch kaum jemals eine Präsidentschaft gegeben, an die so hohe Erwartungen gesetzt werden wie an die kommende österreichische", so Fischler im Gespräch mit der APA.

Auf der einen Seite gebe es das Thema britischer EU-Austritt, zu dem die Verhandlungen unter österreichischem Ratsvorsitz spannend werden dürften, andererseits aber auch die Frage der künftigen Finanzierung der EU, "des mehrjährigen mittelfristigen Budgetrahmens, der ja auch je nachdem, wie die Brexit-Verhandlungen ausgehen, angepasst werden muss".

Reformen in vier Fonds

Mit der Finanzierungsfrage verbunden sei auch eine "Reformrunde", die vor allem vier Fonds betreffe: die Agrarpolitik, die Struktur- und Regionalpolitik, den Bereich Wissenschaft und Forschung und die Entwicklungszusammenarbeit – wobei letztere in der Zukunft eine größere Rolle spielen werden müsse. "Und das allein verspricht mehr als genug Konfliktstoff, wie man sich leicht ausrechnen kann", meinte Fischler.

Die wesentlichen Grundsatzentscheidungen müssten in dieser Phase fallen, "denn im Jahr 2019 sind ja dann die Europaparlamentswahlen, und dann wird schon die neue Kommission zusammengesetzt. Es könnte höchstens so sein, dass sich die Mitgliedstaaten auf nichts einigen, und dann würde es halt um ein Jahr verschoben, und man arbeitet ein Jahr lang oder zwei Jahre lang mit einem Provisorium. Solche Dinge hat es in der Vergangenheit auch schon gegeben."

Weiterentwicklung der EU

Österreich habe in der Vergangenheit immer bewiesen, als Präsidentschaftsland "ein ehrlicher Makler" für die europäischen Belange gewesen zu sein, und er erwarte sich, "dass das auch im kommenden Jahr wieder der Fall sein wird", sagte Fischler. Leicht werde es aber nicht werden. Vergessen dürfe man auch nicht, dass für das nächste Jahr bereits erste Konsequenzen einer neuen deutsch-französischen Initiative erwartet würden. "Da geht es dann auch um die Frage der Weiterentwicklung der EU als Ganzes."

Den derzeitigen Zustand der Europäischen Union beschreibt Fischler als "abwartend" – "weil alle darauf warten, was nach der deutschen Wahl kommt. Alle erwarten, dass da eine neue deutsch-französische Initiative gesetzt wird, und vorher will sich eigentlich niemand in die Karten schauen lassen."

Die Kommission habe zwar anschließend an das Weißbuch, "wo die fünf Optionen vorgestellt worden sind, wie man die EU weiterentwickeln könnte oder auch nicht", fünf Strategiepapiere präsentiert, die sich mit verschiedenen zentralen Themen befassten. Dabei handle es sich allerdings um "Diskussionspapiere". Die eigentliche Erwartung sei, dass die Initiative "von der deutsch-französischen Achse" komme, was Fischler durchaus kritisch sieht: "Jetzt wissen wir alle, wie wichtig die deutsch-französische Achse ist, daran herrscht kein Zweifel, aber auf der anderen Seite wäre es Aufgabe der Kommission, Initiativen zu setzen."

Mehr Geld für Entwicklung in Afrika

Derzeit herrsche zwischen den EU-Mitgliedsstaaten etwa in der Flüchtlings- und Integrationsfrage "große Uneinigkeit", hielt Fischler fest. Als Präsident des Europäischen Forums Alpbach habe er den Wunsch, dass es bei dem Kongress heuer trotz näher rückender Nationalratswahl möglichst wenig Wahlkampf gebe, da könne er sich nicht selbst "in den Wahlkampf einmischen", begründete er dies.

Im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage plädierte Fischler längerfristig dafür, "massiv in die Entwicklungszusammenarbeit insbesondere in Afrika" zu investieren. Er möge zwar den Begriff Marshallplan nicht, weil dieser von den meisten afrikanischen Staaten abgelehnt werde, die dahinter "eine Art Neokolonialismus" vermuteten. "Aber einen Plan, wie man gemeinsam mit den afrikanischen Staaten bzw. mit Organisationen in diesen Staaten Afrika entwickeln kann, wird man brauchen. Und das muss uns auch was wert sein", unterstrich Fischler.

Die US-Amerikaner hätten nach dem Zweiten Weltkrieg "verhältnismäßig sehr viel Geld in die Hand genommen" und in Europa investiert, was sich für sie auch bezahlt gemacht habe. "Und ich glaube, dass auch in Afrika enormes Potenzial steckt. Die Chinesen haben das längst schon kapiert, die investieren in Afrika."

Es wäre jedoch falsch, einfach Geld zu schicken – das hätten die US-Amerikaner im Falle des Marshallplans auch nicht getan. Die Frage sei, "wie kann es gelingen, Initiativen so zu setzen, dass die Leute vor Ort das Gefühl haben, dass sie selber die Akteure sind, und dass das nicht von außen aufgesetzt wird".

Versorgung in Camps sicherstellen

Gleichzeitig müsse die Versorgung für Menschen in den großen Flüchtlingscamps in der Türkei, in Jordanien und im Libanon sichergestellt werden, und zwar längerfristig "und nicht nur für die nächsten sechs Monate". Man dürfe auch die große Zahl an Binnenflüchtlingen in Syrien selbst nicht vergessen, derer man sich genauso annehmen müsse. "Und das kostet ja auch keine Unsummen. Das ist etwas, was im Rahmen der vorhandenen Budgets – sowohl der EU als auch der US-Seite – jederzeit vorhanden ist", argumentierte Fischler.

Zur Zukunft der EU zeigte sich Fischler "nicht völlig pessimistisch": "Ich glaube, die Einsicht ist jetzt wieder im Steigen, dass wir ohne Miteinander von vornherein chancenlos sind." Und auch wenn "das Miteinander sehr schwierig ist und es sehr viel Vor und Zurück gibt", sehe er keine Alternative dazu: "Alles, was da an Alternativen geboten wird, endet im Chaos oder in einer gewaltigen Marginalisierung Europas."

Für neues Sanktionssystem

Fischler spricht sich zudem dafür aus, das Sanktionssystem innerhalb der EU zu verändern. Das "normale Verfahren, das im Wesentlichen nur darin besteht, dass die Europäische Kommission zum Europäischen Gerichtshof gehen kann, um einen Mitgliedsstaat wegen Missachtung des EU-Rechts zu verklagen", dauere zu lang, sei ein "sehr schwacher Mechanismus" und werde von manchen Mitgliedstaaten "ganz einfach ignoriert", sagte Fischler.

Gleichzeitig gebe es auf der anderen Seite aber "die große Keule", die man in punkto Polen zu debattieren begonnen habe, "wo man das Abstimmungsrecht aussetzen möchte und Ähnliches mehr. Und ich glaube, man müsste da gewissermaßen einen etwas abgestimmteren Sanktionskatalog überlegen." Die EU-Kommission hat Polen wegen seiner geplanten umstrittenen Justizreform mit der Einleitung eines Verfahrens zum Entzug der Stimmrechte gedroht. (APA, 28.7.2017)