Lina Beckmann spielt Rose Bernd, im Hintergrund Julia Wieninger als Frau Flamm.

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Hallein – Gerhart Hauptmanns Schauspiel "Rose Bernd" spielt in Schlesien, einem blühenden Landstrich voller Haselnuss- und Weißdornbüsche. Nur von Ferne hört man schüchtern das Summen einer Dreschmaschine. Es herrschen die Gesetze einer bigotten Männergesellschaft. Für die zeichnet sich die Industrialisierung mit ihren Liberalisierungsangeboten allenfalls am Horizont ab. Frauen werden anno 1903 gerade dann, wenn sie lebenslustig ihren Eigensinn behaupten, erst fertig gemacht, mit religiösen Geboten abgespeist und dann kleingemahlen.

"Rose Bernd" wird auf der Halleiner Perner-Insel nicht als die Tragödie entwickelt, die das Schauspiel, seinen Baugesetzen gemäß, natürlich ist. Regisseurin Karin Henkel zeigt bei den Salzburger Festspielen – und das ist kein geringer Vorwurf an ihre Adresse (Anschrift: Hamburger Schauspielhaus) –, dass sie von vornherein weiß: Für Rose (Lina Beckmann) nimmt das Drama von sexueller Erpressung und daraus resultierendem Kindesmord kein gutes Ende.

Schlacht- und Opfertier

Rose, dieses gutherzige, mit den Armen wie ein versehrtes Flugtier wackelnde Mädchen, ist ein Schlacht-, ein Opfertier. Und um zu zeigen, dass die Ex-Geliebte des eigensüchtigen Schulzen Flamm (Markus John), eines Lackels mit Schießgewehr, nicht zu retten ist, wird alles aufgeboten. Eine finstere Industriewabe hat Ausstatter Volker Hintermeier in die Salinenhalle gepfercht. Mächtige Stahlnägel ragen dem Bauwerk aus dem Schopf.

Ein Steg in Kreuzform legt die Auf- und Abtritte der handelnden Personen unumkehrbar fest. Und weil das noch nicht reicht, sieht man hinter einem Salinenvorhang mit gruseliger Aufschrift ("Future is a fucking Nightmare") die schlesische Kirchengemeinde mit schwarzen Mundlöchern in stummem Munch-Schrei erstarrt. Szenisch dicker lässt sich das Elend der Rückständigkeit kaum instrumentieren.

Rose wird geschmückt wie ein Pfingstochse vorgeführt: eine Kirtagsschönheit mit Weißclownmaske. Flamm (John) bemächtigt sich ihrer a tergo, ein fröhliches Jagdlied auf den Lippen. Von nun an treiben alle Dörfler das Mädchen nacheinander in den Meineid, in den Wahnsinn und schließlich zum Infantizid. Das Hauptmann'sche Kunstschlesisch wird von allen wie ein etwas spröder Gerichtsjargon gesprochen. Vollends unverständlich wird der Sound, wenn 17 Dörfler eine deklamierende Hetzmeute bilden und der armen Sünderin zu Leibe rücken. Und von einem kuriosen Einzelfall gibt es zu berichten: Der Maschinist Streckmann (Gregor Bloeb) setzt Rose besonders zu. Seinen aufgepumpten Körper schiebt der Kraftlackel wie eine Skulptur durch die Landschaft. Leider artikuliert er aber auch eine Fantasiesprache, die bestimmt keine Schlesier, sondern höchstens die Hobbits in Mittelerde sprechen.

Schlesische Ophelia

Rose Bernd wird immer kleiner unter den drangsalierenden Zugriffen ihrer bösen Mitmenschen; störrischer, verheulter, aber auch mächtiger in ihrer unbändigen, erst zum Schluss resignierten Wut. Tauben versteht sie das Genick zu brechen. Den Veitstänzen ihres Verlobten August (Maik Solbach) ist sie hilflos ausgeliefert, ebenso dem guten Zuspruch wohlmeinender Moderater (sehr fein Julia Wieninger als Frau Flamm). Gegen Schluss quert die weiß gekleidete Rose wie eine schlesische Ophelia die Bühne. Lina Beckmann ist eine herrliche, festspielwürdige Erscheinung.

Die Inszenierung rund um sie ist durchschnittliches Stadttheater: vorurteilsfromm, auf seine ethischen Einsichten von Anfang an beharrend. Dem Publikum war das einen Jubelorkan wert. (Ronald Pohl, 30.7.2017)