Ausschreitungen in Caracas.

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Caracas – Überschattet von Gewalt und einem Boykottaufruf der Opposition ist in Venezuela am Sonntag eine verfassunggebende Versammlung gewählt worden. Die 545 Mitglieder des Gremiums sollen die Verfassung aus dem Jahr 1999 novellieren. Die Regierungsgegner werfen Präsident Nicolas Maduro vor, er wolle sich dadurch "diktatorische Vollmachten" sichern.

Auch international stößt die Wahl auf Kritik. Einer der Kandidaten für das Gremium wurde wenige Stunden vor der Wahl erschossen. Die Abstimmung fand nach der Gewalteskalation der vergangenen Wochen in einer aufgeheizten Stimmung statt. Für Maduro ist die Wahl nach den erbitterten Protesten seiner Gegner ein Erfolg. Er gebe seine "Stimme für den Frieden ab", sagte der sozialistische Staatschef am Morgen in einem Wahllokal in der Hauptstadt Caracas. Begleitet wurde er von seiner Frau Cilia Flores, die sich um einen Sitz in dem Verfassungsgremium bewirbt.

Die konservative Opposition warb für einen Boykott der Abstimmung. Sie läuft seit Wochen Sturm gegen das Projekt, konnte Maduro mit ihren Massenprotesten und zwei Generalstreiks aber nicht zum Einlenken bewegen. "Dieser Wahl- und Verfassungsbetrug ist der größte historische Fehler, den Maduro begehen konnte", sagte der Abgeordnete Freddy Guevara vom Oppositionsbündnis Tisch der demokratischen Einheit (MUD). Die Regierungsgegner riefen trotz eines Demonstrationsverbots der Regierung zu weiteren Protestaktionen auf.

Barrikaden in Caracas

Im Morgengrauen gingen Soldaten mit Gewalt gegen Regierungsgegner vor, die Barrikaden im Westen von Caracas errichtet hatten. Die Regierung hatte alle Protestaktionen gegen die Wahl verboten und Demonstranten mit mehrjährigen Haftstrafen gedroht.

Einer der Kandidaten für das einflussreiche Verfassungsgremium wurde wenige Stunden vor der Wahl getötet. Mehrere Angreifer drangen in der Nacht zum Sonntag in das Haus von Jose Felix Pineda in Ciudad Bolivar ein und erschossen den 39-jährigen Anwalt, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Zum möglichen Tatmotiv machte die Behörde keine Angaben.

6.100 Kandidaten

Insgesamt hatten sich etwa 50.000 Menschen um einen Sitz in der verfassunggebenden Versammlung beworben, etwa 6.100 Kandidaturen wurden für gültig erklärt. Die Kriterien für die Zulassung zu Wahl wurden von Maduro aufgestellt.

Die Opposition wirft dem Präsidenten vor, er wolle die verfassunggebende Versammlung mit eigenen Anhängern besetzen, um sich "diktatorische Vollmachten" zu sichern. Sie sehen dahinter ein Manöver des wenig populären Staatschefs, mit dem er die für Ende 2018 vorgesehene Präsidentschaftswahl vermeiden will.

Maduro hatte hingegen erklärt, die neue Verfassung solle dazu beitragen, die schwere Krise in dem Land beizulegen. Die rechtsgerichtete Opposition kämpft seit Monaten für eine Amtsenthebung des Präsidenten, den sie für die schwere Wirtschaftskrise in dem südamerikanischen Land verantwortlich macht. Seit Beginn der Protestwelle Anfang April wurden bereits mehr als hundert Menschen getötet.

Kritik

Laut Umfragen des Instituts Datanalisis lehnen mehr als 70 Prozent der Venezolaner die verfassunggebende Versammlung ab. 80 Prozent sind demnach mit Maduros Amtsführung unzufrieden.

Auch international stoßen Maduros Verfassungspläne auf deutliche Kritik. Die USA, die EU und mehrere lateinamerikanische Staaten schlugen Alarm und warnten vor den Folgen für die Demokratie in dem ölreichen Land. Washington verhängte in dieser Woche Sanktionen gegen amtierende und ehemalige venezolanische Regierungsvertreter und ordnete die Ausreise der Angehörigen ihres Botschaftspersonals aus dem Land an. Mehrere internationale Fluglinien, darunter Iberia, Delta und Air France, stellten ihre Flüge nach Venezuela vorerst ein.

Im Regierungslager zeigten sich in den vergangenen Wochen erste Risse. Unter anderem wandte sich Generalstaatsanwältin Luisa Ortega von Maduro ab. Doch der Präsident kann sich bisher auf die bedingungslose Unterstützung der mächtigen Armee verlassen.

Die Regierung in Caracas hofft trotz des Boykottaufrufs auf eine hohe Wahlbeteiligung. Das Ergebnis der Abstimmung sollte in der Nacht zum Montag (MESZ) bekanntgegeben werden. Die Opposition hatte vor wenigen Wochen ein eigenes symbolisches Referendum abgehalten. Von den 30 Millionen Einwohnern konnte sie nach eigenen Angaben 7,6 Millionen Menschen mobilisieren. 95 Prozent der Teilnehmer stimmten demnach für die Beibehaltung der aktuellen Verfassung. (APA, 30.7.2017)