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Abtransport der Toten: Nach dem mörderischen Attentat in Hamburg fragt sich die Bundesrepublik, was gegen den Täter hätte unternommen werden können.

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Am Wochenende ereigneten sich zwei Bluttaten in Deutschland, eine in Hamburg, eine in Konstanz: beide mit Todesfolge, beide in Räumen des öffentlichen Lebens – in einem Supermarkt und in einer Disco – und beide nach dem zuletzt vom IS geprägten Schema: Wie auch die Bataclan-Attentäter, die in Paris blind in einem Nachtclub um sich schossen und 130 Menschen ihr Leben nahmen, griff der Attentäter in Konstanz vor einer Disco zum Sturmgewehr.

Die beiden Ereignisse in Hamburg und in Konstanz werden jedoch deutlich unterschiedlich behandelt: Im ersten Fall wird über die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft nachgedacht, was auf eine Einstufung als Terroranschlag hindeuten würde, während der zweite offensichtlich als Amoklauf behandelt wird, was wohl nur daran liegt, dass der Attentäter nicht "Allahu akbar" rief.

Die Trennlinie zwischen Terrorismus und Amoklauf war schon immer schwierig zu ziehen, da Amokläufer ihre Taten oft nicht nur vor dem Hintergrund persönlicher Motive durchführen, sondern sich auch gern auf ein ideologisches Narrativ beziehen. Andererseits wurden bei Terroristen oft nicht nur ideologische, sondern auch persönliche Motive festgestellt, etwa der Wunsch nach Ruhm, Abenteuer, Rache oder einfach nur Gruppenzugehörigkeit. Diese Unterscheidung wird nun durch das neue Profil des IS-Attentäters noch um einiges erschwert.

Im Vergleich zum klassischen, auch islamistischen Profil des Terroristen (siehe Al-Kaida) sind die IS-Attentäter weniger gebildet, weniger religiös, weniger ideologisch und oft psychologisch auffällig; fast eine Konstante ist das rasante Abrutschen von der kriminellen in die terroristische Karriere. Mehr als zwei Drittel der IS-Attentäter in Europa hatten einen kleinkriminellen Hintergrund und mehr als ein Fünftel psychologische Probleme.

Erschwerend wirkt auch die Tatsache, dass der IS selbst zu solchen Lowtech-Anschlägen aufgerufen hat, unter anderem nämlich zu Messerattacken. Eine genaue Anleitung konnten wir sogar vor kurzem in der Bild-Zeitung lesen, als ein Reporter Ausschnitte aus seinen Gesprächen mit einem IS-Rekrutierer veröffentlichte. Solche Informationen sind natürlich sehr wichtig für die Sicherheitsbehörden, aber muss man diese Informationen öffentlich machen?

Nach den Bostoner Attentaten im Jahr 2013 wurde der Rolling Stone heftig dafür kritisiert, dass er auf dem Cover das Bild eines der Attentäter veröffentlichte, ihn damit noch berühmter machte und möglicherweise andere veranlasste, es ihm gleichzutun; immerhin ist genau das der Traum vieler Jugendlicher, wie ein Popstar auf einem Zeitschriftencover abgebildet zu sein und von vielen anderen Jugendlichen angehimmelt zu werden.

"Die Medien sind der Sauerstoff des Terrorismus", so der berühmte Ausspruch von Margaret Thatcher. Terrororganisationen haben die Medien schon immer dafür benutzt, ihre Taten und dementsprechend ihre Forderungen bekanntzumachen. Seit dem Aufstieg der sozialen Medien werden für diese "Öffentlichkeitsarbeit" klassische Medien gar nicht mehr gebraucht, wohl aber für die besondere Art der "Rekrutierung", die der IS betreibt: Sogenannte Lone Wolves in desolaten Lagen, ohne Perspektiven und vor geschlossenen Türen, die mit einem Knall abtreten möchten, Sensationslustige und Verwirrte werden angesprochen.

Sie sind natürlich nicht die einzigen IS-Rekruten – für die organisierten, technisch anspruchsvollen Anschläge, die großen Schaden anrichten, sind diese Personen nicht zu gebrauchen. Sie können aber immerhin Angst schüren – vor allem wenn sie als "Terroristen" bezeichnet werden. Außerdem können sie andere dazu veranlassen, ähnliche Taten zu begehen. Storys machen Taten "möglich" und nachvollziehbar für andere, die ihren Frust anders ausdrücken wollten oder zunächst noch gar keine Idee hatten, wie sie ihn ausdrücken sollen. Die IS-Propaganda und die Personen, die sie weiterverbreiten, ermöglichen einen Jedermann-Terrorismus.

Ob wir solche Taten weiterhin Terrorismus nennen oder nicht – wie kann die Politik ihnen entgegenwirken? Auf jeden Fall nicht durch die Erhöhung der Aufmerksamkeit für solche Taten und durch das Übernehmen von Maßnahmen, deren Nutzen sich nicht bewiesen hat bzw. die sich als unbrauchbar darstellen. Den "Attentäter" in Hamburg hätte man schwer durch eine Fußfessel (schließlich ist er bloß einkaufen gegangen) oder eine erweiterte Überwachung der ganzen Bevölkerung stoppen können.

Zu viele Daten

Tatsächlich besteht weiterhin das Problem, das wir bereits nach 9/11 festgestellt haben: eine zu hohe Menge an Daten, die man nicht sinnvoll – oder überhaupt nicht bearbeiten kann. Und weiterhin bleiben die gleichen Mängel: die mangelhafte Zusammenarbeit der Behörden, der unzureichende Informationsaustausch im Inland und mit ausländischen Behörden. Dazu kommen die Schwierigkeiten, tatsächlich gefährliche Personen als solche einzustufen. Es gibt jedoch Hoffnung: Nach der kontroversen Fußfesselmaßnahme wird in Deutschland auch über ganz banale Maßnahmen gesprochen, etwa die Straffung von Asylverfahren oder die Bereitstellung psychologischer Betreuung, wenn diese nötig ist. Ob das nur so ist, weil man sich diesmal der Terrorismusqualität der Tat doch nicht sicher ist? (Daniela Pisoiu, 31.7.2017)