Wien – Früher einmal wurden auf den 34 Quadratmeter allerlei Knallkörper verkauft. Immer 15 Tage vor Silvester öffnete Klaus Feuerstein die Pforten zu dem von ihm angemieteten grauweißen Häuschen mit der Hausnummer Gudrunstraße 196b, um Feiernde mit Raketen, Krachern und Zündschnüren zu versorgen.

DER STANDARD

Die restlichen 350 bis 351 Tage im Jahr stand das Feuerwerkshäuschen in Wien-Favoriten leer. Seit Mitte der 1980-er Jahre war das jahrein, jahraus so: bis Klaus Feuerstein 2008 verstarb, und sein Bestandsvertrag mit der Eigentümerin, die ÖBB-Infrastruktur AG, beendet wurde.

Tomash Schoiswohl fiel das meist ungenutzte kleine Haus im Jahr 1999 auf. Der Konzeptkünstler begann damals, sich mit dem städtischen "Nichtort" Matzleinsdorfer Platz auseinanderzusetzen.

Aktuelles Bild vom ehemaligen Pyrotechnikgeschäft.
Foto: Ayham Youssef

Früher trennte dort der Linienwall die Wiener Vororte von den Vorstädten. Heute münden in dem Verkehrsknotenpunkt neben der Gudrunstraße auch die Wiedner Hauptstraße, die Triester und die Reinprechtsdorfer Straße. Tausende Fahrzeuge brettern täglich über die mehrspurigen Fahrbahnen.

Das ehemalige Pyrotechnikgeschäft mit dem entsprechenden Schriftzug über den fast immer geschlossenen Scherengittern wurde 1955 erbaut. Welchem Zweck es ursprünglich diente, ist nicht bekannt. Als Schoiswohl aber einmal vor dem Häuschen Kompott verteilte, erzählte ihm eine Passantin, dass ihr Vater sich dort vor langer Zeit eine Uhr gekauft habe.

Schoiswohl veranstaltete unter anderem die "Matzleinsdorfer Festspiele".
Foto: Julia Mitterbauer

Einmal prangte an der Fassade ein Transparent: "Für immer besetzt" stand in großen Lettern darauf. Schoiswohl hatte es aufgehängt. Ein andermal hieß es "Kapitalismus ist für immer". Der Kurator und Universitätsdozent nutzt das kleine Gebäude als Zentrum für seine künstlerische Arbeit. Er zündet Rauchfackeln an. Er schwenkt Flaggen oder setzt überdimensionale Kartonfiguren auf das Dach.

Kritik an Gentrifizierung

Mehrmals gelang es ihm, das Häuschen vorübergehend anzumieten, um dort Theaterstücke oder Stadtgeschichte-Workshops für Jugendliche zu veranstalten. Schoiswohl erarbeitet die Geschichte des Matzleinsdorfer Platzes als Kritik an Gentrifizierung, Ordnungs- und Verkehrspolitik. Die von der Stadt geförderte temporäre Nutzung von Raum sieht er skeptisch. Sie werde als "Win-Win-Situation verkauft", doch ginge es nur darum, Gebäude für Profit aufzuwerten. Auch das wolle Schoiswohl mit seiner Kunst thematisieren.

Seine Interaktionen versteht der Künstler auch als Infragestellen von Eigentumsverhältnissen im öffentlichen Raum.
Foto: Ana Paula Franco

Sein langjähriger Wunsch, aus dem Häuschen ein "utopisches Bezirksmuseum" zu machen, das sich mit Stadtentwicklung und Verkehrspolitik auseinandersetzt, wird wegen der geplanten neuen Streckenführung der U2 über den Matzleinsdorfer Platz wohl nicht in Erfüllung gehen.

Laut ÖBB ist das Objekt "zum Abtrag vorgesehen". Was mit dem Brachland dahinter, das auch der ÖBB gehört, passieren soll, wird derzeit in einem Flächenwidmungsverfahren erörtert. (Text: Christa Minkin, Video: Ayham Youssef, 3.8.2017)