Ein neunteiliges Bodenschüttbild aus dem Jahr 1997 ist derzeit in den Ausstellungsräumen von Arlberg 1800 in St. Christoph am Arlberg zu sehen. Daheim im Nitsch-Museum in Mistelbach im Weinviertel kann man das grafische Druckwerk Hermann Nitschs bewundern.

Foto: Philipp H Schuster

Siebdruck auf Papier. Hermann Nitsch zeigt im Nitsch-Museum in Mistelbach an der Zaya naturgemäß eigene Arbeiten.


Foto: Atelier Nitsch

Mistelbach – Für einen bald 79-Jährigen ist Hermann Nitsch ganz schön umtriebig. Seine 150. Aktion, die er am 17. Juni des Jahres nach beschwerlicher Anreise ("Hongkong, Sydney, furchtbar!") in der tasmanischen Hauptstadt Hobart durchführte und in deren Zentrum abermals das "Seinsbewusstsein um die Gegenwärtigkeit" stand, war eine in Italien konzipierte, sechsstündige Partitur, die im Rahmen des Dark-Mofo-Festivals exakt umgesetzt wurde, "ein Triumph!". Dort gab es auch ein unterirdisches Museum, das ihn faszinierte, und lustig wäre, sagt er, dass auch in St. Anton am Arlberg, wo er gerade eine Ausstellung eröffnete, "die dortige Ausstellungshalle Arlberg 1800 zu drei Viertel unterirdisch ist".

Von dort kam er gestern zurück, und gerade kostete er vom Lammbeuscherl Peter Kubelkas, der zeitweilig bei ihm in Prinzendorf im Schloss wohnt. Nun führt er Gäste durch sein Museum in Mistelbach, indem er raumfüllend einen Stuhl besetzt und mit klaren, oft von kindlichem Lachen unterbrochenen Worten Das druckgrafische Werk erklärt, welches bis 8. April 2018 hier ausgestellt sein wird. Es umfasst Druckgrafiken des Polykünstlers aus den letzten vier Jahrzehnten, entstanden in enger Zusammenarbeit mit renommierten Verlegern aus dem In- und Ausland.

Gelernt hat Nitsch ab 1957 alles selbst, nachdem ihn der Übertritt vom B-Zug seiner Schule in die Graphische Versuchslehranstalt vor dem "Abgleiten auf die schiefe Bahn bewahrte. Vielleicht wäre ich Politiker geworden", lacht er. Stattdessen beschäftige er sich mit Holzschnitt, Linolschnitt, Radierung und Lithografie. Parallel zu seiner Ausbildung entwickelte er bereits ab den frühen 1960er-Jahren die Ideen zu seinem Orgien-Mysterien-Theater, für das er unterirdische, konzeptionelle Räume entwarf. Architekturen, die gewisse Aktionen verlangen, und Aktionen, die gewisse Architekturen verlangen, sind zentrales Motiv dieser Druckgrafiken. Gearbeitet wird an den Motiven oft über viele Jahre, es gebe ungezählte Entwürfe für ganze Städte. Über eine etwaige Realisierung brauche er sich aber "keine Gedanken mehr zu machen, da es mir an Wirtschaftskraft fehlt".

Francesco Conz, Sammler und Verleger des Wiener Aktionismus, dem auch Nitsch zugerechnet wird, war der Erste, "der eine tolle Zeichnungen von mir kaufte und druckgrafisch verlegte". In dessen Sammlung im italienischen Asolo befand sich über Jahre auch das "Geruchszimmer", welches nun in der Krypta des Nitsch-Museums ausgestellt ist. 1991 wurde im Auftrag der Galerie Krinzinger im Druckatelier Kurt Zein eine Strichradierung auf mit Schweineblut beschüttetem Büttenpapier gedruckt.

Ein Aspekt seiner Arbeiten, sagt Hermann Nitsch, wäre immer mit dem Hinabsteigen in die Tiefen unter unsere alltäglichen, sichtbaren Welten verbunden, "mit dem Wühlen im Inneren". Entsprechend geeignet zeigen sich die Ausstellungsräume von Arlberg 1800 für die Schau Hermann Nitsch: Unter den Bergen. Auch dort sollen die architektonischen Strukturen vermittelt werden, die seinen Aktionen zugrunde liegen, 30 Grafiken sind bis 4. August nächsten Jahres zu sehen. "Da ihm das meiste der Gegenwartsarchitektur widerstrebte", sagt Kuratorin Christine Haupt-Stummer, "siedelte Nitsch selbst unter der Erde. Der analytische Abstieg in bewusste vegetative Bereiche, welcher in seinen Aktionen angestrebt wird, findet seine Entsprechung in Erdhöhlen, Katakomben oder metaphorisch im lichtlosen Raum des Mutterleibes."

Multisensorisch

"Multisensorisches Gesamterlebnis" nennt es Nitsch, wenn während seiner Aktionen auch Malerei als Prolog zur Orgie zum Einsatz kommt. Bekanntermaßen arbeitet er mit Blut, Farbe und Besen, schüttend, schrubbend und herumlaufend am Malvorgang. 48 dieser meist großformatigen Schüttbilder aus den Jahren 1979 bis 2014 sind am Arlberg ebenfalls zu sehen, ein Höhepunkt ist das vierteilige Bodenschüttbild aus dem Jahr 1992, das wiederum Vorwegnahme etwa des neunteiligen Bodenschüttbildes war, das er während der großen Malaktion im Museum des 20. Jahrhunderts 1997 fertigte und das ebenfalls Teil der Ausstellung ist. Ebenso eine Werkserie mit dem Titel Levitikus, die Nitsch 2010 erstellte, sie zeigt Opferriten im Tempel von Jerusalem aus dem 3. Buch Mose.

"Uns was ich Ihnen sage!", sagt er zum Abschied. "Das hat bei mir alles damit zu tun, dass hier jedes Dorf einen Weinkeller hatte. Man bewegte sich hinunter in den Uterus der Erde, in das Uturale des Rausches." Die Bauern kamen während der langen Wintermonate oft 14 Tage lang nicht mehr aus diesem Uterus heraus, "und oft stieg ich selbst beim Lichte der Sonne hinab und stieg erst wieder herauf, wenn der gestirnte Himmel, die Bezogenheit des ganzen Universums mich beschützte". (Manfred Rebhandl, 4.8.2017)