Trotz Idylle: In Alpbach wird über Konflikte diskutiert.

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Ursula Schmidt-Erfurth ist Vizepräsidentin des Europäischen Forums Alpbach und Vorsitzende der Gesundheitsgespräche. Seit 2004 leitet sie die Augenklinik an der Med-Uni Wien.

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STANDARD: Die diesjährigen Alpbacher Gespräche drehen sich um "Konflikte und Kooperationen". Wie lässt sich dieses Thema auf den Bereich Gesundheit herunterbrechen?

Schmidt-Erfurth: In keinem Bereich treffen so viele unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse aufeinander wie im Gesundheitswesen. Das gemeinsame Ziel ist klar: Ein funktionierendes Gesundheitssystem muss gewährleisten, dass Menschen gesund bleiben und Kranke wieder gesund werden. Aber der Weg dorthin ist extrem kontrovers. Letztendlich geht es darum, dass die Konflikte der unterschiedlichen Stakeholder keine Ressourcen sinnlos verschwenden.

STANDARD: Was meinen Sie damit konkret?

Schmidt-Erfurth: Konflikte entstehen etwa bei der Frage, wie vorhandene Mittel sinnvoll und gezielt verteilt werden sollen. Dieses Thema betrifft den Staat als Regulator, die Versicherungen, die Hersteller von Medikamenten und die Kliniken bzw. Ärzte, die diese Medikamente verteilen. Was am Ende zählt: Für die Patienten muss beispielsweise der Zugang zu teuren, aber effektiven Therapien gewährleistet sein.

STANDARD: Apropos Konflikte und Stakeholder: Die Pharmig, Interessenvertretung der pharmazeutischen Industrie, ist nach fast zehn Jahren als Sponsor abgesprungen. Als Grund wurde die abnehmende Mitsprache bei der Programmgestaltung genannt. Können Sie als Vizepräsidentin das Problem aus Ihrer Sicht schildern?

Schmidt-Erfurth: Das ist kein spezielles Problem von Alpbach, denn mögliche Interessenkonflikte sollten unbedingt bei jeder Programmgestaltung vermieden werden. Deshalb kann eine Pharmavertretung auch nicht Hauptsponsor der Gesundheitsgespräche sein. Unabhängig davon wurde die Vertretung der Pharmaindustrie im Beirat unter meiner Vizepräsidentschaft in den vergangenen Jahren bereits deutlich reduziert. Mein Anspruch ist es, in jedem Fall Objektivität zu wahren.

STANDARD: Welche Rolle hatte die Pharmig in Alpbach?

Schmidt-Erfurth: Traditionell war es so, dass die Pharmaindustrie direkt und indirekt viele Stimmen im Beirat hatte. Das habe ich geändert und den Beirat paritätisch zusammengestellt. Das heißt, es wurde zum Beispiel je eine Position von der Ärztekammer, vom Hauptverband, von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, der Patientenanwaltschaft, vom Gesundheitsministerium, von Caritas und Rotem Kreuz und der Pharmaindustrie besetzt. Jede Fraktion hat ihre Stimme, auf dieser Basis wird ein gemeinsames Programm erarbeitet. Damit konnte auch die Attraktivität der Gesundheitsgespräche signifikant gesteigert werden, die Teilnehmerzahlen haben sich in den vergangenen fünf Jahren nahezu verdoppelt.

STANDARD: Dafür ist der Medizingerätehersteller Philips zum ersten Mal Sponsor. Muss zukünftig mit mehr technischen Gesundheitsthemen gerechnet werden?

Schmidt-Erfurth: Philips ist freiwilliger Unterstützer des Alpbach-Programms. Unsere Bedingung war, dass das Unternehmen nicht in die Programmgestaltung involviert sein wird. Wenn Alpbach ein positives Beispiel sein soll, dann müssen die allgemeingültigen Compliance-Regeln ernst genommen werden. Im Rahmenprogramm kann Philips sein "Innovation Lab" vorstellen.

STANDARD: Migration wird in Alpbach in den Kontext von "Konflikten und Kooperationen" gesetzt. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass hier unnötig polarisiert wird?

Schmidt-Erfurth: Es besteht kein Zweifel, dass Migration ein konfliktbeladenes Thema ist, das nur durch Kooperation gelöst werden kann. An der Angst vor eingeschleppten Seuchen lässt sich gut ablesen, dass Migration ein Reizthema ist.

STANDARD: Migranten sind eine sehr gesunde Population.

Schmidt-Erfurth: Objektiv gesehen ist die Furcht unbegründet. Wichtig ist hingegen, wie die Gesundheitsversorgung von Menschen gewährleistet werden kann, die durch Sprache und Kultur ausgegrenzt sind und sich häufig auf dem untersten sozialen Level einrichten müssen. Es geht um die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass diese Menschen trotzdem und gerade deswegen gesundheitlich gut versorgt sind. Denn ohne Gesundheit gibt es keine Integration und kein sinnvolles Zusammenleben.

STANDARD: Welche Rolle sollte Europa einnehmen?

Schmidt-Erfurth: Die Zusammenarbeit in Europa muss gestärkt werden. Das ist allen in diesen krisenhaften Zeiten bewusst. Es gibt Themen, die trotz unterschiedlicher nationaler Gesundheitssysteme gemeinsam gelöst werden können. Dazu zählen etwa die Preispolitik und flächendeckende Versorgung mit Medikamenten, Gesundheitserziehung, die Art und Weise, wie mit Migranten über Gesundheit kommuniziert wird, oder die interdisziplinäre Zusammenarbeit von privaten und staatlichen Systemen.

STANDARD: Muss Gesundheit zukünftig vor allem global gedacht werden?

Schmidt-Erfurth: Es gibt Erkrankungen, die generell zunehmen: zum Beispiel Krebs und Autoimmunerkrankungen. Auch krankmachende Umweltfaktoren machen vor nationalen Grenzen keinen Halt. Auf der internationalen Bühne sehen wir derzeit aber auch, welch zerstörerische Wirkung politische Konflikte auf das Gesundheitswesen haben können. In den USA wird etwa versucht, Obamacare abzuschaffen, ohne Alternativen anzubieten. Es besteht die Gefahr, dass 20 Millionen Menschen keine Krankenversorgung mehr haben werden. Derzeit sterben in den USA jährlich mehr nichtversorgte drogenabhängige Menschen als im Vietnam- und Koreakrieg zusammen.

STANDARD: Was sind die dringlichsten globalen Gesundheitsprobleme?

Schmidt-Erfurth: Ein ganz großes weltweites Gesundheitsproblem ist der fehlende Zugang zu Arzneimitteln, die sehr wirksam, aber auch sehr teuer sind. Bei multipler Sklerose zum Beispiel gibt es mittlerweile sehr erfolgreiche Medikamente. Prognosen zufolge werden hier weltweit 30 Prozent mehr Ausgaben auf uns zukommen. Für diese Problematik müssen von allen kompetenten Vertretern realistische Antworten gefunden werden. Die Gesundheitsgespräche in Alpbach werden für diese und verwandte Themen eine Plattform zur Erörterung bieten. (Günther Brandstetter, 5.8.2017)