Bundeskanzler Christian Kern im Volksgarten-Pavillon im Gespräch mit der Schriftstellerin Valerie Fritsch.

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Kern glaubt noch an einen Wahlsieg der SPÖ: "Wir haben gerade erst begonnen."

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Fritsch konfrontiert Kern mit dem Zustand der SPÖ: "Die Leute spüren, dass es in der SPÖ unrund läuft, dass es da eine Zerrissenheit gibt."

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Frauen, Fußball, Hymne, Gleichbereichtigung: "Das ist jetzt in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und die Leute verstehen das. Das hat auch einen politischen Subtext."

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Christian Kern über Inhalte der ÖVP: "Wir rätseln, was das soll. Dass Migranten übel sind, haben wir schon gehört. Das ist die Linie der ÖVP."

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Valerie Fritsch über Männer, die sich abfällig über Frauenfußball äußeren: "Das sind Vollidioten, ganz klar. Da muss das Fußballteam der Männer erst einmal nachlegen."

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STANDARD: Wie nehmen Sie die SPÖ wahr? Ist es Christian Kern gelungen, neuen Schwung reinzubringen? Ist davon noch etwas übrig?

Fritsch: Schwung ist jedenfalls reingekommen. Da war eine große Leere, die auch gefühlt worden ist. Sie haben das ausgeleuchtet. Durch die Entwicklung der letzten Zeit habe ich das Gefühl, dass das wieder abgeschwächt ist. Die Euphorie des Neuen ist ein bisschen dahin. Die Leute warten darauf, dass die großen Worte und Versprechungen auch eingelöst werden. Und sie spüren, dass es in der SPÖ unrund läuft, dass es da eine Zerrissenheit gibt.

Kern: Es gibt die Verkürzung, die Pointe, die Schlagzeile, damit kann man eine Zeitlang Politik bestreiten. Wir haben etwas anderes versucht. Wir haben einen 200 Seiten starken Plan entwickelt, in dem wir genau darlegen, was wir vorhaben. Das wird auf der kurzen Distanz vielleicht nicht immer so wertgeschätzt, aber das ist die Voraussetzung dafür, dass man die Lebensverhältnisse der Menschen verändert. Mich interessiert nicht ein Imagewert, mich interessiert ausschließlich, ob wir in der Lage sind, die Lebenswirklichkeiten der Menschen zu verändern. Das treibt mich an. Ja, die ÖVP hat das marketingmäßig toll gemacht. Wir alle rätseln aber, was das inhaltlich soll. Dass Migranten übel sind, das haben wir schon gehört, das ist die Linie der ÖVP. Auf der Marketingebene hat die ÖVP das sehr gut bestritten.

Kern beantwortet eine Frage aus dem STANDARD-Forum zu den verschiedenen Fraktionen in der SPÖ.
DER STANDARD

STANDARD: Ihre Marketingmaschine läuft im Augenblick nicht so toll.

Kern: Wir machen Politik, ganz konkrete Politik. Ich möchte, dass die, die wir verloren haben, die früher sagten, ihr habt nichts für uns getan, sagen: Ihr habt euch jeden Tag um die Interessen der Menschen gekümmert. Auch wenn das vielleicht durch den Nebel dieser Politdiskussionen nicht durchdringt, das ist es, was ich erreichen will. Und ich glaube, das haben wir gut gemacht. Jetzt geht es darum, dafür zu sorgen, dass die Menschen verstehen, was wir in der Lage sind für sie zu tun. Wenn das gelingt, dann gewinnen wir diese Wahl haushoch.

STANDARD: Derzeit hat man den Eindruck, dass Sand im Getriebe ist.

Kern: Wir haben gerade erst begonnen. Wir hätten auch noch bis zum September warten können. Aufgrund der Diskussion war es allerdings notwendig, früher zu starten, wir brauchen das auch für die Motivation der eigenen Leute. Es gab immer einen klaren Plan. Österreich ist eine der reichsten und erfolgreichsten Nationen der Welt. Wir sorgen dafür, dass der Aufschwung bei allen ankommt, dass alle davon profitieren.

Fritsch: Glauben Sie, dass das bei der Bevölkerung auch ankommt?

Kern: Das tut es im Moment noch nicht. Im Moment sind noch Diskussionen interessanter, wer Slimfit-Anzüge trägt oder wer in unsere Kampagne reinfunkt.

Fritsch: Offenbar interessieren sich die Leute mehr für Imagewerte, für starkes Auftreten, für schöne Anzüge. Sind Sie dieser Marketing- und Gefühlspolitik, die Sachentscheidungen außen vor lässt, ein bisschen müde?

Kern: Ich glaube, dass es in der Substanz um etwas anderes gehen muss. Da hilft dir auch eine gute Werbekampagne nicht. Am Ende brauchst du eine Strategie, du brauchst Lösungen für die Probleme im Land und ganz viele konkrete Schritte. Das Verständnis dafür ist in der Politik vielleicht nicht allzu weit verbreitet.

Christian Kern zu Fragen aus dem STANDARD-Forum, wie es nach der Wahl weitergehen könnte.
DER STANDARD

STANDARD: Wie wichtig sind denn Parteiprogramme überhaupt noch? Geht es nicht ohnedies nur um die Personen, die vorn stehen? Als Sebastian Kurz die ÖVP übernommen hat, sind die Umfragewerte um zehn Prozent nach oben geschnalzt, ohne dass sich inhaltlich noch etwas geändert hätte. Noch gibt es in diesem Wahlkampf keine Inhalte der ÖVP, die Werte bleiben aber oben.

Kern: Das werden wir sehen. Unser Weg wird einer der Substanz sein, den werden wir weiterverfolgen.

STANDARD: Über dem Wahlkampf schweben die Themen Asyl, Migration, Integration. Kurz hat hier eine sehr einfache Botschaft, Ihre klingt komplizierter. Wie bringen Sie das rüber?

Kern: Am Ende des Tages geht es darum, Probleme zu lösen. Jeder, der den Leuten Sand in die Augen streut und Versprechen macht, die er nicht einlösen kann, wird sich mittelfristig nicht durchsetzen, da bin ich mir ganz sicher. Dieses Thema ist dermaßen emotional aufgeladen, da müssen wir aufpassen, dass wir unsere Gesellschaft nicht komplett spalten. Ich bin der Meinung, dass wir die illegale Migration auf null begrenzen müssen. Das ist die Grundhypothese. Aber man kann bei diesem Thema nur an die Ernsthaftigkeit appellieren, das kann man nicht wie eine PR-Kampagne bespielen.

STANDARD: Übrig bleibt die schnelle Botschaft. Sie haben Ihre sieben Punkte zu einer Migrationspolitik vorgestellt, ich weiß nicht, wie viel davon bei der Bevölkerung angekommen ist.

Kern: Sie haben recht. Aber ich bin keiner, der sich persönlich verbiegt. Ich möchte die Zusammenhänge darstellen, das ist das, was ich bieten kann. Wenn Sie jemanden suchen, der eine schnelle Pointe entwickelt, nehmen Sie entweder die Türkisen oder eine Werbeagentur.

Fritsch: Es ist ganz logisch, dass komplexe Themen nicht so schnell ankommen.

Kern: Wie viele Bücher verkaufen Sie? Von Ihrem letzten Roman Winters Garten?

Fritsch: Ungefähr 20.000.

Kern: Respekt. Jerry Cotton verkauft sich dennoch vielfach. Sie schreiben Bücher, die sehr komplex sind, mit einer kunstvollen Sprache. Dort geht es um leicht Konsumierbares. Das verkauft am Ende mehr. Dennoch werden die Leute in 20 Jahren Ihre Bücher immer noch in der Bibliothek haben und die anderen im Altpapiercontainer sein.

STANDARD: Letztendlich geht es doch gerade auch in der Politik um den Verkauf. Sie müssen Ihre Themen über die Rampe bringen.

Kern: Du musst dich verständlich machen. Aber das darf keine Schwarzweißmalerei sein oder eine Suche nach Sündenböcken.

STANDARD: Mit Hans Peter Doskozil haben Sie eine Person, die Sie als Inbegriff der Sicherheit zu verkaufen versuchen. Der soll das Migrationsproblem lösen und gleich auch die Polizei übernehmen. Das ist doch auch eine Form der Schwarzweißmalerei.

Kern: Das ist tatsächlich eine sehr einfache Botschaft, aber mit der bin ich völlig im Reinen. Da steht Substanz dahinter. Doskozil hat als Streifenpolizist begonnen, er war Sicherheitsdirektor im Burgenland. Der weiß, worum es geht. Der versteht die Sorgen der Polizei und die Notwendigkeiten des Jobs. Das ist symbolhaft, aber durch Kompetenz gedeckt: Die SPÖ vertritt die Sicherheit.

STANDARD: Ein Symbol, das verunglückt ist, war die Idee, Panzer an den Brenner zu schicken. Auch das war Doskozil.

Kern: Das war kein Symbol. Es ist ganz einfach notwendig, sich darauf vorzubereiten, dass es hier noch einmal zu einer größeren Flüchtlingsbewegung kommen könnte. Wenn Sie meinen, dass da die Kommunikation verunglückt ist, haben Sie recht.

Fritsch: Glauben Sie nicht, dass es das falsche Signal war, dort Panzer zu stationieren?

Kern: Wir haben keinen Anlass, an der Brennergrenze Panzer zu stationieren und Straßensperren aufzubauen. Das war kommunikativ ausbaufähig.

STANDARD: Was können Sie im Wahlkampf noch nachlegen?

Kern: Also Moment einmal, wir haben noch nicht einmal wirklich begonnen. Insofern ist die Formulierung "nachlegen" eine, der ich widerspreche. Wir werden eine klare Ausrichtung haben und einen sehr prononcierten Wahlkampf führen: Wie machen wir Österreich zu einem der reichsten Länder der Welt, und wie sorgen wir dafür, dass jeder Einzelne etwas davon hat und nicht nur einige wenige.

STANDARD: Sollte die Wahl nicht in Ihrem Sinn ausgehen, werden Sie in Opposition gehen?

Kern: Ich gehe davon aus, dass wir die Wahl gewinnen. Am Ende wird das Wahlergebnis zu einer Koalition führen. Ich bin sicher, dass wir sehr gute Chancen haben, das Land weiterzuführen.

STANDARD: Aber es wird keine Koalition um jeden Preis geben?

Kern: Das ist mit Sicherheit eine der Erkenntnisse der vergangenen Monate. Die Arbeit in der Koalition war erfolgreich, aber bei weitem nicht so erfolgreich, wie ich mir das vorgestellt habe. Mit Reinhold Mitterlehner gab es ein großes Maß an Konsens. Aber in der ÖVP gab es Kräfte, die partout keine positiven Ergebnisse für die Regierung wollten. Diese Kräfte haben sich in der ÖVP durchgesetzt, das ist zur Kenntnis zu nehmen.

STANDARD: Kurz wird Ihr Gegenüber bei Koalitionsverhandlungen sein. Was löst das bei Ihnen aus?

Kern: Wir wollen eine Wahl gewinnen. Dann werden wir in Zuversicht an die Koalitionsverhandlungen herangehen.

STANDARD: Und sollte sich nur eine Koalition zwischen SPÖ und ÖVP ausgehen?

Kern: Wenn der Wähler so urteilt, werden wir schauen, was wir aus dem Wahlergebnis machen können. Aber rein arithmetisch wird es viel mehr Möglichkeiten geben. Ein Thema muss ich noch anbringen: Wie finden Sie das Frauenfußballteam?

Fritsch: Ich bin ein großer Fußballfan und war richtig gerührt, wie hervorragend die Frauen spielen, das fand ich äußerst beeindruckend.

STANDARD: Wie gehen Sie um mit den Vergleichen, die zwischen Frauen- und Männerteams angestellt werden? Da gibt es doch einige Männer, die sich sehr herablassend äußern.

Fritsch: Das sind Vollidioten, ganz klar. Da habe ich kein Verständnis. Da muss das Fußballteam der Männer erst einmal nachlegen. Die sind nicht gerade in Hochform.

Kern: Na ja, die fangen sich wieder.

Fritsch: Aber man muss doch nicht böse sein, wenn die Frauen so gut Fußball spielen.

Kern: Ich habe da nur Euphorie verspürt. Ich bin fasziniert von der Laufbereitschaft und dem taktischen Konzept der Frauen. Die leisten auch für das Land unglaublich viel. Am coolsten fand ich, wie sie aus vollen Kehlen die Nationalhymne singen, "Heimat großer Töchter und Söhne". Das ist auf einmal eine große Selbstverständlichkeit. Und da wurde wirklich darüber gestritten. Das ist jetzt in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und die Leute verstehen das. Das hat auch einen politischen Subtext. (Michael Völker, 5.8.2017)

Valerie Fritsch fragt den Kanzler nach seinem Verhältnis zum Tod.
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