Gregor Högler: "Wir sind nicht mehr chancenlos."

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Da kniete Justin Gatlin nieder. Der 35-jährige US-Amerikaner ist seit Samstag der älteste 100-m-Weltmeister aller Zeiten. Er ist auch ein zweimal überführter Dopingsünder. Das erklärt, warum er bei den Titelkämpfen im Londoner Olympiastadion gnadenlos ausgebuht wurde. Gatlin siegte in 9,92 Sekunden vor seinem Landsmann Christian Coleman (9,93) und Usain Bolt (9,95). Im Gegensatz zu Bolt (30), der noch mit der Sprintstaffel um seinen zwölften WM-Titel läuft und dann die große Bühne verlässt, macht Gatlin weiter.

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STANDARD: Hat Sie der dritte Platz von Usain Bolt im WM-Finale über 100 Meter überrascht?

Högler: Eigentlich nicht. Man weiß ja trotz einiger gegenteiliger Behauptungen, dass er ein Mensch ist. Und es ist menschlich, nicht immer zu gewinnen. Bolt ist so oder so ein Mythos.

STANDARD: Hätte er besser auf ein Antreten in London verzichtet?

Högler: Aber geh. Für mich ist er erst jetzt und sogar dadurch ein richtiges Idol. Das ist die wahre Größe, dass er hier angetreten ist, obwohl er wohl wusste, es gibt die Möglichkeit, dass er geschlagen wird. Das muss man anerkennen. Für den Sport ist das insofern nicht schlecht, als es ja seit jeher zum Sport dazugehört, dass nicht immer nur einer gewinnt. Sport setzt sich aus Sieg und Niederlage zusammen.

STANDARD: Bolt läuft bei der WM noch in der Staffel, dann tritt er von der großen Bühne ab. Was bedeutet das für die Leichtathletik?

Högler: Ich glaube, dass er dem Sport in irgendeiner Form erhalten bleiben wird. Er wird immer wieder auftauchen. Aber natürlich – die sportliche Glanzfigur kommt der Leichtathletik abhanden. Viele Leute sind seinetwegen ins Stadion gekommen. Er hat das Publikum unterhalten, nicht nur mit seinen Siegen. Er hat für eine richtig gute Show gesorgt.

STANDARD: Aber die Show kann nur einer abziehen, der auch gewinnt. Sonst wirkt es lächerlich.

Högler: Es wird wieder einen Superstar geben. Momentan ist dieser Platz vielleicht unbesetzt. Aber es geht schon auch um das Ereignis an sich. Man wird weiterhin den Schnellsten der Welt suchen.

STANDARD: Was sagt es uns, dass die 100-m-Siegerzeit jetzt bei 9,92 Sekunden lag, also doch relativ hoch?

Högler: Ich schließe daraus wenig. Die Zeiten werden wieder niedriger werden. Es gibt solche Wellen immer wieder, in vielen Disziplinen.

STANDARD: Werden wir es noch erleben, dass die 9,58 Sekunden von Bolt über 100 Meter unterboten werden?

Högler: Ich wünsche uns ein langes Leben. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass wir eine schnellere Zeit sehen werden. Die 9,58 werden lange stehen, sehr lange, vielleicht für immer.

STANDARD: Ist es schlecht für den Sport, dass mit Justin Gatlin ein zweimal überführter Dopingsünder gewonnen hat?

Högler: Natürlich wäre es erfreulicher gewesen, wenn statt ihm der Zweite, Christian Coleman, gewonnen hätte, ein junger, aufstrebender, unbelasteter Läufer. Ich will zum Thema Doping festhalten, dass ich mir weltweit einheitliche Dopingkontrollen wünsche.

STANDARD: Gibt es die nicht? Sie sind ja nicht nur Sportdirektor des Verbands, sondern auch Trainer des bei der WM neuntplatzierten Diskuswerfers Lukas Weißhaidinger. Wie sieht es im Diskuswurf mit Dopingkontrollen aus?

Högler: Das ist kein schlechtes Beispiel. Es gibt, wie in jeder Disziplin, den sogenannten Testing Pool des Weltverbands IAAF. Der Luky ist in diesem Testing Pool. Er wurde heuer insgesamt 14-mal kontrolliert, neunmal von der IAAF, fünfmal national. Die ersten vier dieser WM sind nicht im Testing Pool der IAAF. Da muss man sich und kann man sich nur wünschen, dass die auf nationaler Ebene gut kontrolliert werden.

STANDARD: Glauben Sie, dass in Litauen, Schweden, den USA und Jamaika so gut und oft wie in Österreich kontrolliert wird?

Högler: Ich weiß es nicht, ich hoffe es. Ich kann sagen, dass unser Marathonläufer Valentin Pfeil als Nummer 48 der Nennliste hier gleich nach seiner Ankunft im Hotel zur Dopingkontrolle gebeten wurde. Eh gut so. Aber ich hätte gerne, dass die besten zwanzig der Welt gleich streng und regelmäßig kontrolliert werden. Dann hätten wir einigermaßen Sicherheit, dass Chancengleichheit gegeben ist. Und das wäre ja nicht zuletzt auch im Sinne jener Athleten, die derzeit nicht im Testing Pool der IAAF sind.

STANDARD: Ihr Schützling Weißhaidinger ist im Vergleich zu seinem sechsten Olympiaplatz vom Vorjahr drei Ränge zurückgefallen. Enttäuscht?

Högler: Wir hätten uns schon etwas mehr erwartet. Bis zum vierten Platz war ja auch alles im Bereich des Möglichen. Aber die Würfe waren alle etwas zu flach. Ich glaube, dass Luky und unsere Mehrkämpferin Ivona Dadic das Zeug dazu haben, Medaillen auch auf Weltniveau zu gewinnen.

STANDARD: Wie entwickelt sich Österreichs Leichtathletik insgesamt?

Högler: Mit Dadic und Weißhaidinger haben wir hier jetzt schon ein Top-10-Duo. Und beide haben Potenzial, weiter nach oben zu kommen. Bei der letzten WM war ein 20. Platz das beste österreichische Ergebnis. Der 23. Platz von Valentin Pfeil im Marathon ist ein hervorragendes Resultat, er war hier der achtbeste Europäer. Dominik Distelberger ist hier im Zehnkampf auch einiges zuzutrauen. Und im Nachwuchs tut sich viel, da haben wir zuletzt bei Europameisterschaften einige Medaillen geholt. Das alles zeigt: Es geht aufwärts. Zuletzt sind wir zur WM gefahren und haben uns dort oft unsere Watschen abgeholt. Jetzt fahren wir her und sind nicht mehr chancenlos. Und wir sind enttäuscht über einen neunten Platz. Das ist schön. (Fritz Neumann, 7.8.2017)