Es war eine Randbemerkung im STANDARD-Interview, vom Kanzler beiläufig, fast verschämt fallengelassen: "Ich bin der Meinung, dass wir die illegale Migration auf null begrenzen müssen." Der Themenbereich Asyl, Migration und Integration sei "dermaßen emotional aufgeladen, da müssen wir aufpassen, dass wir unsere Gesellschaft nicht komplett spalten", sagte Christian Kern. In seiner großen Motivationsrede vor den Funktionären der Partei ging der SPÖ-Chef auf das Thema gar nicht erst ein.

Das tut nun der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl, der in seinem Bundesland eine Koalition mit der FPÖ etabliert hat. Anders als die Bundes-SPÖ will er im Wahlkampf mit dem Flüchtlingsthema punkten und hofft, damit "die stärkste Sozialdemokratie in Österreich" zu werden. Dieses "Thema" so offen als Wahlkampfschlager hochzuziehen ist ein wenig unappetitlich: Es ist politisch fahrlässig, Flüchtlinge zur Stimmenmaximierung zu missbrauchen. Im Übrigen zeugt es von einer Fehleinschätzung, zu glauben, dass die SPÖ mit dem Thema die Wahlen gewinnen könnte. Es ist nicht ihr Thema.

Auf diesen Zug sind bereits genügend Politiker aufgesprungen. Wenn es um Flüchtlinge geht, geht es in der Regel gegen Flüchtlinge. Das ist eine zentrale Botschaft der ÖVP unter Sebastian Kurz, und es ist das Leitthema der FPÖ, die mit dem Feindbild Ausländer seit Jahren gezielt Stimmung macht und Stimmen gewinnt. Kurz kann man zugutehalten, dass er der FPÖ mit diesem Thema Wähler wegnimmt und das kleinere Übel ist, was den Rechtspopulismus betrifft. Wenn ÖVP und FPÖ allerdings eine Koalition eingehen – und das ist eine sehr wahrscheinliche Variante –, kann sich das zu einem Stimmungsgemenge mit einem derartig destruktiven Unterton potenzieren, dass man die bösen Geister, die man beschworen hat, nicht mehr loswird. Wer Angst und Neid in den Vordergrund schiebt, findet für konstruktive Lösungen keinen Platz mehr.

Nachhaltiger und glaubwürdiger

Kern könnte man zugutehalten, dass er die Flüchtlingsproblematik aus Verantwortungsgefühl nicht ansprechen will. Man kann ihm aber auch unterstellen, dass er weiß, mit dieser Problematik nichts gewinnen zu können, und dass er sie nur aus strategischem Kalkül zur Seite schiebt. Es wird wohl an beiden Annahmen, so widersprüchlich sie sein mögen, etwas dran sein.

Kurz und Strache sind nachhaltiger und glaubwürdiger auf dem Thema draufgeblieben. Anders als bei FPÖ und ÖVP ist die SPÖ bei diesem Thema gespalten, das betrifft Funktionäre und Wählerschaft. Auch Kern ist es nicht gelungen, zwischen dem Anspruch, solidarisch denken und handeln zu wollen, und dem lange gepflegten Abwehrreflex und der Angst, dass einem etwas weggenommen werden könnte, eine Brücke zu schlagen.

Dass die illegale Migration eingedämmt werden muss, ist mittlerweile Grundkonsens. Die Fragen, ob und wer wie in Österreich noch legal Asyl bekommen könnte und wie man die erwiesenermaßen schwierige Integration jener, die bereits hier sind, vorantreiben könnte, bleiben unbeantwortet. Dafür ist im Wahlkampf offenbar kein Platz, da zählt nur die schnelle Botschaft, die keine Rücksicht auf die Komplexität der Herausforderungen nimmt – dies auch dank jener Politiker, die das Problem bewusst vor die Lösung stellen und deren Denken vom Machtanspruch bestimmt wird. Die finden sich in allen Parteien – Grüne und Neos einmal ausgenommen. (Michael Völker, 6.8.2017)