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FDP-Chef Christian Lindner fordert realistischere Angebote an Wladimir Putin.

Foto: AP/Meissner

Seit Tagen erhält FDP-Chef Christian Lindner in den deutschen Medien – von der "Bild" bis zum "Spiegel" – heftige Prügel für sein jüngstes Interview, in dem er dafür eintrat, die russische Annexion der Krim-Halbinsel vorerst zu akzeptieren. "Um ein Tabu auszusprechen: Ich befürchte, dass man die Krim zunächst als dauerhaftes Provisorium ansehen muss", sagte Lindner der Funke-Mediengruppe. Man werde den Krim-Konflikt "einkapseln müssen", um an anderen Stellen Fortschritte zu erzielen.

Seither wird Lindner Verrat am Völkerrecht, Anbiederung an Präsident Wladimir Putin und eine antiwestliche Haltung zur Förderung deutscher Wirtschaftsinteressen vorgeworfen. Nun mag es tatsächlich stimmen, dass Lindner damit verklausuliert jenen Kräften, die eine rasche Aufhebung der Russland-Sanktionen wünschen, das Wort reden wollte. Aber das hat er nicht gesagt. Seine eigentliche Aussage selbst ist sachlich richtig und realpolitisch vernünftig – und weist die Richtung, in die sich die westliche Russland-Politik entwickeln sollte.

Russland wird die Krim nicht hergeben

Denn es ist den meisten Beobachtern seit drei Jahren klar, dass Russland die Annexion der Krim nicht rückgängig machen wird. Der Schritt war eine Verletzung des Völkerrechts, aber es gab auch mildernde Umstände: Die Krim ist eher zufällig zur Ukraine gekommen, die große Mehrheit der Bevölkerung will bei Russland sein, und weder gab es viel Blutvergießen noch schränkt der Verlust der Krim die Funktionsfähigkeit der Ukraine ein.

Auch Putins Nachfolger werden sich nicht zurückziehen. Genauso, wie Österreich sich mit dem Verlust von Südtirol abfinden musste, wird das die Ukraine mit der Krim früher oder später tun müssen – und sollen.

Was weder Kiew noch der Westen hinnehmen können, ist die kaum verdeckte russische Aggression in der Ostukraine. Da geht es um viel mehr Menschen als auf der Krim, hier gibt es unzählige Kriegstote und Flüchtlinge, und die Quasi-Besetzung des wirtschaftlich wichtigen Donezbeckens trifft die Ukraine ins Mark.

Zwischen Krim und Donbass differenzieren

Eine Lösung, unter der Russland die Krim behält und dafür die Ukraine die Kontrolle über den Donbass zurückerhält, wäre realpolitisch auch für die Ukraine der beste vorstellbare Ausgang des Konflikts. Doch um dies zu erreichen, müsste der Westen – und hier vor allem Deutschland – zwischen der Krim und der Ostukraine differenzieren. Genau das dürfte Lindner gemeint haben.

Dafür müsste der Westen, auch Deutschland, seine Politik grundlegend ändern. Der Druck auf Moskau müsste deutlich verstärkt werden, solange die Umsetzung des Minsker Abkommens für die Ostukraine stockt. Da müsste Putin international noch viel deutlicher geächtet werden.

Keine Energieprojekte mit Russland

Da dürfte es keine großen russisch-europäischen Energieprojekte wie die Gaspipeline Nord Stream 2 geben, gegen die die jüngste Verschärfung der US-Sanktionen gerichtet ist. Und über die regen sich deutsche Medien genauso auf.

Und gleichzeitig muss Moskau, genau wie Lindner sagt, ein Gesicht wahrendes Angebot gemacht werden. Selbst wenn Völkerrechtler und Moralisten aufheulen: Dazu gehört eine Vereinbarung, die zumindest die faktische Kontrolle der Krim durch Russland anerkennt.

Die Reaktionen auf Lindners Ansage zeigen nur die Scheinheiligkeit der laufenden Russland-Debatte, vor allem in Deutschland: Wir bleiben hart, solange es uns selbst nichts kostet, lautet die Devise. In dieser Atmosphäre sind realistische Botschaften wie die des FDP-Chefs zu begrüßen. (Eric Frey, 7.8.2017)