Wien – ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat am Wochenende ein neues Wahlkampfthema aufgebracht – er fordert höhere Strafen bei Gewaltdelikten und hat Justizminister Wolfgang Brandstetter ersucht, Vorschläge vorzulegen. DER STANDARD gibt Antworten auf die wichtigsten Themen zur Causa.

Frage: Zunächst: Was hat Kurz konkret vorgeschlagen?

Antwort: Kurz schlug vor, die Strafen für Gewaltdelikte anzuheben. Er halte die verhängten Strafen bei Vergewaltigung und Gewalt gegen Kinder für zu niedrig, vor allem im Vergleich zu den Strafen für Vermögensdelikte, sagte Kurz. Er plädiert für höhere Mindeststrafen und Höchststrafen, ohne den Vorstoß allerdings konkretisiert zu haben.

ÖVP-Chef Kurz ist der Meinung, dass die Gerichte derzeit mitunter zu niedrige Strafen aussprechen.
Foto: apa

Frage: Wurde das Strafrecht nicht gerade erst reformiert?

Antwort: Ja. Im Vorjahr trat ein umfassendes Reformpaket in Kraft. Der Reform war eine Evaluierung durch eine Expertengruppe vorausgegangen. Der Befund war, dass das Verhältnis der Sanktionen für Vermögensdelikte und Delikte gegen Leib und Leben nicht angemessen sei. Die Experten schlugen deshalb vor, die Strafen für Vermögensdelikte teilweise nach unten anzupassen, die Sanktionen für Gewaltdelikte hingegen zu erhöhen oder zu erweitern. Die Vorschläge wurden großteils übernommen.

So wurde die Strafdrohung für Körperverletzung teilweise erhöht und die neue Strafbestimmung "Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung" eingeführt. Die letzte Änderung im Bereich des Sexualstrafrechts ist sogar erst knapp einen Monat alt und noch nicht einmal in Kraft getreten: Ab 1. September gilt, dass jemand, der sich in einer Gruppe befindet, die sexuelle Belästigungen begangen hat, ebenfalls bestraft werden kann – selbst wenn er keine Tat aktiv begangen hat.

Frage: War im Zuge der Strafrechtsreform 2015 auch im Gespräch, die Strafrahmen bei Gewaltdelikten noch stärker anzuheben?

Antwort: Das war nicht wirklich in Diskussion, sagt der Leiter der Sektion Strafrecht im Justizministerium, Christian Pilnacek, der damals auch Mitglied der Expertengruppe war. "Es gab relativ einstimmig den Tenor, dass die Strafen in diesem Verhältnis angemessen sind", sagt Pilnacek zum STANDARD.

Wörtlich hieß es im Abschlussbericht: "Eine große Änderung des Systems der Strafdrohungen im Sinne des oben angeführten Vorschlages führt zu einer Einschränkung des Spielraums bei der Strafzumessung in der Praxis. Eine derartige Einschränkung ist nicht wünschenswert, da die Strafe für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung aller Strafzumessungsgründe verhängt wird und weite Strafrahmen die in der Praxis nötige Flexibilität bei der Verhängung der Strafen bieten."

Die Strafdrohung für Körperverletzung wurde teilweise schon bei der letzten Reform erhöht.
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Frage: Wie hoch sind die Strafen, die derzeit für Vergewaltigung verhängt werden können?

Antwort: Für Vergewaltigung sind zwischen einem und zehn Jahre Haft vorgesehen. Hat die Tat eine schwere Körperverletzung oder eine Schwangerschaft zur Folge, schreibt das Gesetz den Gerichten eine Mindeststrafe von fünf Jahren vor. Die Höchststrafe liegt hier bei 15 Jahren. Dieser höhere Strafrahmen gilt auch, wenn das Opfer durch die Tat längere Zeit hindurch qequält oder in besonderer Weise erniedrigt wird.

Frage: Was hat sich bei den Vermögensdelikten konkret im Jahr 2016 geändert?

Antwort: Die Wertgrenzen, ab denen das Strafrecht zur Anwendung kommt, wurden angehoben. Die untere Wertgrenze liegt nun bei 5.000 statt 3.000 Euro, die obere wurde sogar von 50.000 auf 300.000 Euro angehoben. Das heißt konkret: Der maximale Strafrahmen von zehn Jahren kommt für schweren Diebstahl, schweren Betrug, Veruntreuung oder Untreue erst dann infrage, wenn der nachgewiesene Schaden 300.000 Euro übersteigt.

Bei einigen Vermögensdelikten wurde der Strafrahmen auch herabgesetzt. Bei Einbruchsdiebstahl können nun nur mehr drei statt fünf Jahre Haft verhängt werden, bei schwerem Betrug sind es sechs Monate statt drei Jahre. Bei schwerem Raub blieb zwar der maximale Strafrahmen gleich (15 Jahre), die Mindeststrafe wurde aber von fünf Jahren auf ein Jahr gesenkt.

Frage: Ist die Reform schon in der Praxis angekommen?

Antwort: So etwas dauert naturgemäß, wie Pilancek betont. So seien im ersten Jahr nach Inkrafttreten der neuen Rechtslage noch viele Urteile nach alter Rechtslage gefällt worden. Die Erklärung dafür: Werden während eines bereits laufenden Verfahrens die Gesetze verschärft, so kommt immer die für den Angeklagten günstigere Rechtslage zur Anwendung.

Die höheren Strafrahmen bei den Gewaltdelikten gelten also nur für Verfahren, die nach dem 1. Jänner 2016 eröffnet wurden. "Es ist ein langsamer Prozess, bis sich Änderungen im Strafrahmen in der gerichtlichen Praxis niederschlagen", so der Sektionschef.

Damit die Richter auf jeden Einzelfall eingehen können, gibt es Mindest- und Höchststrafen, es kommen also Erschwerungs- und Milderungsgründe zur Anwendung.
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Frage: Wie erklären sich die großen Bandbreiten zwischen Mindest- und Höchststrafe bei Gewaltdelikten? Also sechs Monate bis fünf Jahre bei schwerer Körperverletzung, ein bis zehn Jahre bei Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen.

Antwort: Das ist nicht wirklich eine Besonderheit von Gewaltdelikten, betont Pilnacek. Bei Höchststrafen von fünf Jahren liegt die Mindeststrafe traditionell bei sechs Monaten, bei Höchststrafen von zehn Jahren liegt die Mindeststrafe bei zwölf Monaten. "Das ist also eine systemimmanenten Komponente", meint der Sektionschef.

Pilnacek: "Die Bandbreite ermöglicht es den Gerichten, zu differenzieren und die Strafen so zu bemessen, dass sie der jeweiligen Persönlichkeit entsprechen." In der Praxis müssen die Richter Erschwerungs- und Milderungsgründe berücksichtigen. Bei Gewaltdelikten wurde beispielsweise explizit festgehalten, dass Vergehen gegen "nahestehende Personen", also Familienangehörige, als besonderer Erschwerungsgrund gelten. Selbiges gilt laut Paragraf 33 des Strafgesetzbuchs auch für strafbare Handlungen aus "rassistischen, fremdenfeindlichen oder anderen besonders verwerflichen Beweggründen".

Frage: Macht es Sinn, so kurz nach der letzten Reform schon wieder über eine Reform zu diskutieren?

Antwort: Seit einigen Jahren ist es üblich, dass bei neuen Gesetzen in den Beilagen gleich festgelegt wird, wann eine Evaluierung geplant ist. Bei der letzten Strafrechtsreform haben die Experten des Justizressorts Folgendes festgeschrieben: "Die interne Evaluierung soll im Jahr 2021 durchgeführt werden. Wenn überhaupt, lassen sich Entwicklungen im Bereich des Strafrechts nur nach einem längeren Beobachtungszeitraum nachvollziehen."

Angesichts der erst kürzlich beschlossenen Änderungen meint der Präsident der Richtervereinigung Werner Zinkl: "Da braucht man momentan nichts ändern."

Justizminister Wolfgang Brandstetter hat es nun, nach entsprechendem Auftrag von ÖVP-Chef Kurz, aber eiliger. Er kündigte im "Kurier" an, "Justizkonferenzen" abhalten zu wollen, bei denen Richter und Staatsanwälte über spektakuläre Fälle, die für öffentliche Diskussionen sorgen, beraten sollen. (Günther Oswald, Maria Sterkl, 7.8.2017)