Pilz, Griss, Kurz, Strolz – und Vorbild Macron (Mitte): Alle diese Politiker repräsentieren unterschiedliche Ausprägungen desselben Phänomens: Parteifreie oder -ferne Kandidaten sind momentan en vogue.

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Ein Gespräch mit einem Spitzenpolitiker über den "Bildungsplan für Österreich", den eine Bildungs-NGO erarbeitet: "Ihr werdet mit eurem Bildungsplan für Österreichs Schule mehr erreichen als wir mit unseren politischen Parteien." Auf die Frage, warum, gibt er Verblüffendes zur Antwort: "Wenn ihr in eurem Bildungskonzept etwas ändern wollt, reicht dafür ein Rundmail. Wenn wir im Bildungsprogramm unserer Partei auch nur eine Formulierung umstellen möchten, müssen wir damit bis zum nächsten Bundesparteitag warten, und dort gibt es dann fruchtlose Endlosdebatten."

Treffender wurde die Malaise heutiger politischer Parteien selten formuliert. Eine Folge: Immer mehr Politiker differenzieren in Vieraugengesprächen zwischen der offiziellen Linie ihrer Partei ihrer Privatmeinung, was teils erhebliche Unterschiede zutage fördert.

Selbstbestimmung, Autonomie und Individualisierung prägen unsere Gesellschaft. Sind ihre Ausformungen vereinbar mit den zentralen Intentionen traditioneller politischer Parteien, die das große gemeinsame Ganze, die Inhalte einer Interessen- und Werte(!)gemeinschaft über das "parteipolitische" Individuum, sprich über das einzelne Parteimitglied stellen? Nein, wohl eher nicht, wie es die immer öfter anzutreffende Differenzierung in "Parteimeinung" und "persönliche Meinung" deutlich macht.

Erleben wir heute den Anfang vom Ende der traditionellen repräsentativen Parteiendemokratie? Naht ihr Ende in Gestalt einzelner, höchst unterschiedlicher "starker Frauen und Männer" wie Emmanuel Macron, Sebastian Kurz, Irmgard Griss, Matthias Strolz oder Peter Pilz, die ihr "Fußvolk", also ihre Parteien, in "Bewegungen" umwandeln oder solche neu gründen? Heute sind Parteifreie und Quereinsteiger mit möglichst großer Politikferne top, verdienstvolle Parteimitglieder dagegen flop.

Welche Parteiprogramme braucht es? Am konsequentesten ist Peter Pilz, der überhaupt kein solches vorzulegen gedenkt und dessen "Partei" auch keine Parteimitglieder haben wird. Auf Parteimitglieder, die dann ohnehin eine andere Partei wählen, kann leichten Herzens verzichtet werden – und Parteiprogramme sowie die Lösungsvorschläge für zentrale Themen ähneln heute einander wie nie zuvor. Unterschiedlich sind Begriffswahl und Diktion, also die verbale Verpackung.

Gescheitert sind die Parteien bislang trotz mittlerweile weitgehend identer inhaltlicher Positionen an der konkreten Umsetzung von nötigen Änderungen vor allem deswegen, weil die Politik bis heute kein professionelles "Change-Management" kennt. Künftig gefragt ist nicht anlassgetriebenes, hektisches, ängstlich hyperventilierendes und von vorauseilenden Schuldzuweisungen begleitetes Scheinreformieren. Gefragt ist ein professionell geplantes Vorgehen, das vorab die Verlustängste der von Reformen Betroffenen im Auge hat und dadurch echte Partizipation der Bürger ermöglicht, Widerstände minimiert und so echte Lösungen verwirklicht, Politikfrust erst gar nicht entstehen und Blockaden "alt" aussehen lässt. Nötig sind keine floskelreichen Partei- oder "Bewegungs"programme, sondern klare und plausible reformtechnische Vorgehenskonzepte.

Das Ende der Weimarer Republik und in anderer Dimension auch die Ereignisse in Österreich in den 1930er-Jahren haben gezeigt, dass "starke Männer" und "Bewegungen", die scheiternden Parteiendemokratien folgen, verhängnisvoll sein können. Das Scheitern von Parteiendemokratien war stets von Hass, Ausgrenzung und Gewalt begleitet. Dieses Faktum sollte uns heute bewusster sein denn je.

Die "starke" Spezies wird wohl kaum zu verhindern sein. Also wäre der im positiven Sinne "starke Mann" wohl jener, der die heute hochkomplexen, massiv Überblickskompetenz fordernden politischen Zusammenhänge allgemein verständlich darstellt. Es wäre jemand, der die zunehmend ratlose Parteiendemokratie in eine neue, den Individualismus und das "parteinötige Gemeinsame" lustvoll verbindende Form bringt. Es wäre jemand, der neue Zuversicht entstehen lässt und der vor allem einen neuen, professionellen und damit erfolgreichen Stil des Reformierens verwirklicht. (Ernst Smole, 8.8.2017)