Wozzeck (Matthias Goerne) inmitten von Chaos und Leid, mitten im Drama der Zeichen und Zeichnungen, die Regisseur William Kentridge entwickelt hat.

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Salzburg – Es war einmal ein Intendant der Wiener Festwochen, der auf seiner Suche nach Ideen Bariton Matthias Goerne und Künstler William Kentridge zusammenbrachte. Beim Durchleiden der Winterreise von Schubert, das sich einer pianistischen Mitgestaltung durch Intendant Markus Hinterhäuser erfreute, stand Goerne in den visuellen Eingebungen Kentridges, die als nie abebbender Strom der assoziativen Animationen und Zeichnungen forderten.

Da sich damals schon abzuzeichnen begann, dass Hinterhäuser auch zum Oberleiter der Salzburger Festspiele bestellt würde, lag die Vermutung nahe, er würde diese interessante Konstellation von Bild und Ton auch in seinen neuen Gestaltungsbereich integrieren. Es wurde keine Salzburger Winterreise, sondern gleich eine Oper. Und Goerne steht auch hier – als von Wahngedanken gequälter Wozzeck – inmitten von Kentridges Bilderkosmos (mit dem Bühnenbild von Sabine Theunissen und dem Videodesign von Catherine Mayburgh).

Als Regisseur und Bilderdenker entwirft der Südafrikaner für Alban Bergs Wozzeck eine markante Motivwelt rund um diese den Verhältnissen in hilfloser Aggression ausgelieferte Mörderfigur. Sie knöpft sich den Ersten Weltkrieg, den auch Berg als Soldat durchlebt hat, in subtiler Form vor: Ein komplexer, aus Holzmaterialien modellierter, verschlungener Bühnenschauplatz mit Treppen, Kasten (in ihm ist die Ordination des eitlen Doktors), Stühlen und Gängen wird zur kleinen Stadt, die zusätzlich zur Projektionsfläche mutiert. Auf dieser rasen die Assoziationen des Künstlers nahezu unablässig durch die Geschichte.

Sie zeigen mit der düster-diskreten Abstraktion von Kohlezeichnungen verwüstete Landschaften, zertrümmerte Kriegskörper, zermalmte Fluggeräte und Landkarten, auf denen Strategien mit blutigen Pfeilen gezeichnet werden (rund um Ypern, wo der erste Gaskrieg stattfand).

Es ziehen Kriegsmotive und -folgen um Wozzeck und Marie herum, das Endzeitliche dringt jedoch nie plump-plakativ und auch nicht verharmlosend an die Oberfläche der Inszenierung. Unzweideutig torkelt hier alles einem Abgrund entgegen, vernichtet Individuen, es geht grausam, aber sicher um die letzten Töne der Menschheit.

Konzeptuell Passendes auch in der Figurenumgebung: Es sind puppenhafte Wesen mit Gasmasken, Kreaturen, die der Krieg versehrt hat und die sich nur hilflos-eckig ausdrücken. Maries Kind, als Puppe dargestellt, verdichtet mit Gasmaskenaugen den Eindruck brutaler Dehumanisierung.

Es fasziniert eine überbordende, intensive und handwerklich elegante Inszenierung, die von Kentridges Fantasie geflutet wird (Luc De Wit besorgt die Co-Regie) und selbst zu einer kleinen Leinwand greift, um Animationen einzubringen. So entsteht aus einer bilderstarken Polyfonie der Assoziationen ein Gesamtkunstwerk mit gebrochenen Idyllen, Kriegsanklagen und Militärkarikaturen, in dem die Tragödie der Charaktere jedoch nicht in einer Übermalung ertrinkt.

Matthias Goerne (als Wozzeck) ist der kultivierte Sänger, der sein nobles Timbre ebenso diskret einzusetzen versteht, um Momente der trügerischen Poesie zu evozieren, wie ihm auch dramatisch auflodernde Verzweiflung glaubhaft ruppig gelingt. Exzellent als verzweifeltes Mädchen im Kampf um Würde ist Asmik Grigorian als klar und eindringlich singende Marie.

Entladung des Klanges

Um das Paar hohes Niveau: Vokal und in der Charakterzeichnung markant sind John Daszak (Tambourmajor), Mauro Peter (Andres), Gerhard Siegel (Hauptmann), Jens Larsen (Doktor) und Frances Pappas (Margret). Dirigent Wladimir Jurowski und die Wiener Philharmoniker vermitteln ebenfalls klare, bei Bedarf lyrische, dann wieder kontrolliert katastrophische Entladungen, um die schummrigen Bilder aufzuladen. Eine rundum geglückte Kriegsmahnung, die auf entsprechende Resonanz stieß, während Donald Trump Nordkoreas seltsamem Führer mit "Feuer und Wut" droht, wie sie die Welt noch nicht gesehen habe. (Ljubiša Tošić, 9.8.2017)