Stony Brook / Wien – Heute weiß man: Der gemeinsame Vorfahr moderner Menschen und Schimpansen streifte vor sechs bis sieben Millionen Jahren durch Afrika. Was in der Evolution seither so alles passierte, kann zwar keineswegs als geklärt gelten, aber unser Bild von der Entwicklung der Menschheit wird dank vieler Fossilienfunde immer genauer.

Doch dreht man das Rad der Zeit zurück zu den gemeinsamen Vorfahren aller heutigen Menschenaffen (inklusive Homo sapiens) vor mehr als zehn Millionen Jahren, tappen wir nach wie vor weitgehend im Dunkeln. Funde aus dieser Zeit sind sehr selten und umfassen meist lediglich Zähne und einzelne Kieferknochenfragmente.

Nun aber berichten Forscher im Fachblatt "Nature" von einer sensationellen Entdeckung im Norden Kenias: In 13 Millionen Jahre alten Gesteinsschichten westlich des Turkana-Sees fand sich ein kleiner Affenschädel, der einzigartige Einblicke in die Vorgeschichte der Hominiden ermöglicht.

Der gut erhaltene Schädel wurde in einer 13 Millionen Jahre alten Gesteinsschicht westlich des Turkana-Sees gefunden.
Foto: Isaiah Nengo

Dentale Details

Nach Angaben der Wissenschafter um Isaiah Nengo von der Stony Brook University handelt es sich um den am vollständigsten erhaltenen Schädel eines ausgestorbenen Menschenaffen, der je gefunden wurde. Er ist etwa so groß wie eine Zitrone, stammt von einem Jungtier und enthält viele Details, die mithilfe eines sensiblen 3D-Bildgebungsverfahrens (Röntgen-Mikrocomputertomografie) enthüllt werden konnten.

3-D-Rekonstruktion des Schädels.
NPG Press

"Wir konnten Hirnhöhle, Innenohr und die noch nicht durchgebrochenen bleibenden Zähne mit ihren täglichen Wachstumslinien sichtbar machen", sagte Koautor Paul Tafforeau von der European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble. "Die Qualität der Bilder war so gut, dass wir anhand der Zähne herausfinden konnten, dass das Junge etwa ein Jahr und vier Monate alt war, als es starb."

Vorsichtiger Kletterer

Die Zähne waren es auch, die eine Zuordnung des Fossils als neue Art innerhalb der Gattung Nyanzapithecus erlaubte: Die Spezies erhielt den Namen Nyanzapithecus alesi – abgeleitet von Ales, was auf Turkana Vorfahre bedeutet. Von anderen Nyanzapithecus-Arten sind nur Zähne bekannt, die bereits vollständig entwickelten knöchernen Gehörgänge von N. alesi würden nun das gesuchte Bindeglied zu den heute lebenden Menschenaffen darstellen, so die Forscher. "Die Entdeckung von N. alesi zeigt, dass diese Gruppe dem Ursprung heute lebender Menschenaffen sehr nahe war und dass dieser Ursprung in Afrika liegt", sagte Nengo.

Nyanzapithecus alesi, der "Vorfahre".
Foto: Fred Spoor

Analysen der Zähne und des Schädels lassen annehmen, dass N. alesi im Erwachsenenalter ein Körpergewicht von etwa 11,3 Kilogramm erreicht und optisch wohl an heutige Gibbons erinnert hätte, die engsten Verwandten der Menschenaffen. Doch die charakteristische kleine Schnauze hat sich in der Evolution mehrfach entwickelt und spricht den Forschern zufolge nicht für eine direkte Gibbons-Vorfahrenschaft.

Anders als die Gibbons dürfte N. alesi auch kein Akrobatikkünstler gewesen sein, wie Untersuchungen des Gleichgewichtsorgans im Innenohr zeigten: Diese deuten auf langsamere und vorsichtigere Bewegungsabläufe hin. (David Rennert, 10.8.2017)