SPÖ-Spitzenkandidat Christian Kern enthüllt das Plakat mit dem umstrittenen Slogan.

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Zugegeben, der Slogan hat etwas Aufreizendes: "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht!" Das ist quasi aufgelegt zur eingehenden Analyse, das lädt ein zur Zerpflückung, noch dazu, wenn es von einem Sozialdemokraten (Shocking!) kommt. Wo der doch schon mit der Muttermilch aufgesogen haben sollte, dass es immer nur darum gehen darf, dass es allen ("dem Kollektiv") gut geht, nicht, dass es sich das Individuum richtet. Das meinen die einen, ideologisch wetterfesten, Kritiker.

Andere witzeln, das könne ja wohl kein ernstgemeintes Wahlkampfmotto sein, es klinge eher so wie die Knall-Headline eines Politsatiremagazins.

Dann gibt's jene, die eine tiefere (finstere) Bedeutung dahinter erkennen wollen: Christian Kern plant eine komplette Umpositionierung der SPÖ, er macht sie FPÖ-kompatibel, indem er die Selbstbedienungsmentalität der Schwarz-Blau-Ära übernimmt.

Keine gleiche Gerechtigkeit

Kann es sein, dass hier – sommerlochbedingt – ein wenig übertrieben wird? Weder empfiehlt der SPÖ-Chef und Bundeskanzler Mundraub, noch redet er der Raubrittermentalität das Wort. Der Slogan deutet eher darauf hin, dass es in Österreich vielleicht nicht für alle Menschen gleich gerecht zugeht.

Das ist weder unerhört noch aus der Luft gegriffen – tatsächlich ist die Umverteilungsfrage evident, sie wird durch Statistiken und Studien belegt (oder widerlegt, je nach Sichtweise), und sie spiegelt sich in der latenten Unzufriedenheit vieler Wähler/Steuerzahler wider. Dass die SPÖ dies im Wahlkampf thematisiert, liegt auf der Hand, es ist eines ihrer Leib-und-Magen-Themen. Dass sie es zunächst einmal so oberflächlich tut, mag daran liegen, dass ein Wahlkampf immer mehrere Phasen hat und die SPÖ zuallererst einmal den notwendigen Themenwechsel hinbekommen muss.

Weg vom Flüchtlingsthema

Derzeit reden ja aller immer noch über Flüchtlinge, und das nützt der SPÖ am allerwenigsten, egal, wie sie sich positioniert – das zeigen schon die derzeitigen Umfragen, ob man sie nun für bare Münze nimmt oder nicht. Kern muss den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit drehen – nur so kann er Sand ins Getriebe der Kurz'schen Wahlkampfmaschine streuen, die derzeit wie am Schnürchen zu laufen scheint. Ob es da hilfreich ist, wenn rote Granden wie Hans Niessl oder Minister Hans Peter Doskozil trotzdem weiter darauf herumreiten, sei dahingestellt. Parteiintern wird ja behauptet, alles sei abgesprochen, so halte man das Thema wenigstens Kern persönlich vom Leib.

Wie auch immer: Gelingt der "Agenda-Shift", müssen konkrete Vorschläge folgen – und da wird es für die SPÖ heikel. Denn was immer sie im Detail auch fordert (Kerns "Plan A" gibt hier Aufschlüsse): Sie muss sich postwendend die Frage gefallen lassen, warum sie dies als Regierungspartei nicht längst umgesetzt hat. Der Verweis allein, dies habe der böse Koalitionspartner nicht gewollt, wird wohl nicht reichen.

Ein bisschen Klassenkampf

Immerhin kann Kern für sich in Anspruch nehmen, dass er "der Neue" ist, der mit der bleiernen Zeit unter Werner Faymann nichts zu tun hatte, und dass er wild entschlossen ist, Dinge zu ändern, sonst wäre er nicht in die Politik gewechselt. Dass er diese Strategie verfolgt, hat er in jüngsten Interviews schon anklingen lassen.

Will er die "Massen" erreichen, müssen Kern und die SPÖ allerdings einen Zahn zulegen und Klartext reden. Aussagen wie jene von Kanzleramtsminister Thomas Drozda im Ö1-"Mittagsjournal" zur Erbschaftssteuer ("Ist schon Koalitionsbedingung, aber warten wir mal die Verhandlungen ab") klingen eher nach Klassenausflug als nach Klassenkampf.

Der SPÖ freilich schon im August ins Stammbuch zu schreiben, dass die Wahl im Oktober verloren geht, ist reichlich übereilt. Bis dahin ist noch reichlich Zeit, sich zu profilieren – oder zu blamieren. (10.8.2017, Petra Stuiber)