Die App zeigt mittels grüner und roter Tage an, wann zusätzlich verhütet werden muss.

Foto: Natural Cycles AG

Stockholm – Für viele Frauen ist die Suche nach der individuell passenden Verhütungsmethode nach wie vor ein Problem. Die App Natural Cycles eines schwedisch-österreichischen Wissenschafterpaares soll dabei Abhilfe schaffen. Es ist die erste App, die in Sachen Verhütung als Medizinprodukt zertifiziert ist, und soll bei richtiger Anwendung so effektiv sein wie die Pille.

Die App entstand, nachdem Elina Berglund, eine schwedische Wissenschafterin, die am Cern an der Erforschung des Higgs-Bosons beteiligt war, nach einer Alternative zu den gängigen verfügbaren Verhütungsmethoden gesucht hatte. Sie beschloss daraufhin, ihr mathematisches Wissen auf sich selbst anzuwenden, und entwickelte eine App, die anhand der Körpertemperatur und mittels Algorithmus berechnet, wann genau ihre fruchtbaren Tage sind. Anders als Apps, bei denen es um natürliche Familienplanung geht, ging es Berglund dezidiert um die Verhütung, und damit um das Verhindern einer Schwangerschaft. Nachdem die App in ihren Grundzügen entwickelt worden war, bat sie auch ihre Kolleginnen darum, ihre Daten zur Verfügung zu stellen.

Alternativen gefragt

Berglund war nach eigenen Angaben frustriert von den vorhandenen Verhütungsmethoden, ein Gefühl, das anscheinend viele Frauen teilen. Denn in den letzten Jahren nimmt die öffentliche Kritik an hormonellen Verhütungsmitteln zu. Viele Frauen wollen sich nicht länger mit möglichen Nebenwirkungen belasten. Auch ExpertInnen sehen es durchaus problematisch, wie häufig und oftmals leichtfertig die Pille, gerade an Mädchen und junge Frauen, verschrieben wird.

Die Zahlen des Österreichischen Verhütungsreports spiegeln dieses Misstrauen zu einem gewissen Grad wider, demnach gab es hierzulande beispielsweise zwischen 2012 und 2015 einen Rückgang um 7 Prozent bei der Einnahme der Pille. Knapp 13 Prozent der Befragten gaben außerdem an, auf jegliche Form der hormonellen Verhütung zu verzichten. Dass es dazu Alternativen abseits der Spirale oder der Sterilisation gibt, dürfte für viele Frauen daher eine positive Entwicklung sein.

So effektiv wie die Pille?

In zwei Studien im Jahr 2015 überprüfte Berglund gemeinsam mit ihrem Mann, dem österreichischen Forscher Raoul Scherwitzl, wie effektiv die App als Verhütungsmethode im alltäglichen Gebrauch ist. Dabei analysierten sie retrospektiv die Daten von insgesamt über 5.000 Userinnen und ermittelten dabei nach eigenen Angaben unter anderem einen Pearl-Index von 7.0 bei normaler Anwendung. Das würde bedeuten, dass die App nach dem gängigen Indikator für die Effektivität von Verhütungsmethoden sogar etwas sicherer ist als die Pille. Hier liegt der Pearl-Index bei normaler Anwendung bei 9.0.

KritikerInnen betonen jedoch, dass diese Ergebnisse noch nicht aussagekräftig genug seien. Vor allem die Tatsache, dass die Daten retrospektiv ermittelt wurden und dass die ErfinderInnen der App selbst an der Analyse beteiligt waren, wird beanstandet. Weitere unabhängige Forschung mit größeren Samples sei hier noch vonnöten. In Schweden darf die App außerdem nicht als Verhütung bezeichnet werden.

Dennoch hat die App seit Februar 2017 nun den Status eines geprüften Medizinproduktes und ist von TÜV-Süd zertifiziert. Man sollte sich jedoch nur auf die App verlassen, wenn man auch vorhat, seine Daten jeden Tag zu aktualisieren.

Lebensstil von Bedeutung

Momentan gibt es bei der App eine Dropout-Rate von etwa 45 Prozent. Anscheinend sind viele Frauen anfangs vom Konzept überzeugt, aber die erforderte tägliche Genauigkeit ist nicht immer mit allen Lebensmodellen vereinbar. Auch schützt die App klarerweise weder vor Geschlechtskrankheiten noch vor Schwangerschaft an fruchtbaren Tagen.

Natural Cycles richtet sich daher laut den FAQs auf der Website an Frauen zwischen 20 und 40 Jahren, deren Lebensstil es zulässt, dass sie jeden Morgen ihre Temperatur mittels Basal-Thermometer messen und dokumentieren können. Zudem soll die Anwendung der App dabei helfen, den eigenen Zyklus besser kennen und verstehen zu lernen. (jvs, 15.8.2017)