Marcelo Burlon sitzt auf einem Liegestuhl am Strand und bestaunt den Himmel: "Che bello!" ruft er aus. Leise rauscht der Atlantik. Fast meint man, es ist der erste Sonnenuntergang in seinem Leben, so begeistert ist er. Sein durchtrainierter, tätowierter Oberkörper erzählt seine Geschichte: Über der Brust steht in geschwungener Schrift "Patagonia", auf den Oberarmen der Name "Olga" (der Name seiner Mutter) und der Buchstabe "G" (der Anfangsbuchstabe des Namens seines Vaters und seines Bruders), Federn und verschiedenste Symbole sind zu sehen.

Burlons dunkler Bart ist makellos gestutzt, das Haar glatt aus der Stirn frisiert. Säße er nicht hier in Jamaika in Badeshorts, könnte man meinen, dass es sich um ein Businessmeeting handelt. Am vorangegangenen Abend legte er als DJ im Club eines Hotels auf und ließ die junge Menge tanzen. Aber vielleicht ist ja das ganze Leben von Marcelo Burlon ein einziges Businessmeeting.

Seine Ausbildung absolvierte er in Tanzclubs, seine Fans erreicht er via Instagram: Marcelo Burlon lebt vor, wie Karrieren in der Mode heute aussehen.
Foto: Marcelo Burlon

In der Modewelt gilt er als Phänomen. Seine Firma macht heute einen Umsatz von 40 Millionen Euro im Jahr. Auf Universitäten ist Burlons Karriere bereits zu einer Fallstudie und einem wirtschaftlichen Vorbild geworden. Er verkauft seine Mode in 400 Geschäften weltweit, von Barneys in New York bis zu Harrods in London. Die Kollaboration mit G-Shock war innerhalb von drei Tagen ausverkauft. In Hongkong, Taipei und Singapur eröffnet Burlon noch dieses Jahr seine ersten Geschäfte.

Mit 14 Jahren kam er mit seiner Familie von Patagonien nach Italien – auf der Suche nach einem besseren Leben. Bereits als Jugendlicher arbeitete er wie auch seine Eltern und sein Bruder in einer Fabrik in der Nähe von Rimini, die Schuhsohlen herstellte. Sie waren arm, sprachen schlechtes Italienisch. "Meine Karriere begann in den Discos in der Gegend um Rimini", grinst der 40-Jährige. Er wischt auf seinem iPhone und zeigt die Bilder auf seinem Instagram-Account. 335.000 Menschen folgen ihm. Kendall Jenner in einem von ihm designten schwarzen Mantel, Alicia Keys in einer seiner Bomberjacken. Und immer wieder Burlon selbst, als Model, als Designer, als DJ, mit Freunden.

Der praktizierende Buddhist, halb Argentinier, halb Libanese, der in Patagonien in einem Hippiedorf aufgewachsen war, begann seine Karriere mit dem Verkauf von T-Shirts, die mit roten Schlangen und blauen Federn bedruckt waren. Designs, die haarscharf am Kitsch vorbeischrammen, doch genau das scheint gefragt zu sein. Doch lassen wir ihn selbst erzählen:

STANDARD: Welche T-Shirts trugen Sie selbst als Teenager?

Marcelo Burlon: Designer-T-Shirts von Martin Margiela, Helmut Lang und Jean Paul Gaultier. Diese konnte ich mir allerdings erst in meinen Zwanzigern leisten. Ich musste sie einfach haben. Als Designer hat mich Gaultier am stärksten beeinflusst. Ähnlich wie er finde ich die Models für meine Modeschauen auf der Straße oder in Nachtclubs.

STANDARD: Vor zehn Jahren haben Sie Ihre Firma County of Milan gegründet. Heute machen Sie einen Umsatz von vielen Millionen. Worauf führen Sie Ihren Erfolg zurück?

Burlon: Ich bin kein klassischer Designer. Ich kreiere Streetwear. Auch meine Modeschauen würde ich eher als Events bezeichnen. Meine Generation war gelangweilt von all den Designern, die sich wie Könige gerieren. Sie sehnte sich nach etwas, mit dem sie sich identifizieren konnten. Ähnlich der Clubszene, aus der sie und ich kommen.

STANDARD: Was meinen Sie damit genau?

Burlon: Als Teenager war ich ein Club-Kid. Ich wurde in viele Clubs in ganz Italien eingeladen. Meine Art zu tanzen und mein Kleidungsstil inspirierten und begeisterten viele Menschen. Ich freundete mich mit ein paar Typen aus Mailand an, die für Modedesigner arbeiteten. Ich übersiedelte nach Mailand und begann als Türsteher für einen der besten Clubs der Stadt zu arbeiten.

STANDARD: Wann war das?

Burlon: Ende der Neunzigerjahre. Der Club hieß Magazzini Generali. Ich lud viele meiner Freunde ein. Das war eine gute Mischung aus Modeleuten, Designern, Club-Kids, Bürgerlichen, Künstlern und Graffiti-Kids. Einmal in der Woche organisierte ich eine Clubnacht ("Pink is Punk"), die sehr erfolgreich wurde. Dries Van Noten, Dolce & Gabbana und viele andere Designer wurden zu Stammgästen. Ich begann, Partys für verschiedene Designer zu organisieren. Sie alle wollten, dass meine Leute kommen. Sie waren die neuen Trendsetzer. So brachte ich frischen Wind in die Modeszene.

STANDARD: Sie wurden zu einer Brücke zwischen etablierten Modekonzernen und jungen Konsumenten?

Burlon: Ja. In Mailand war die Clubszene damals ungeheuer wichtig für die Designer. Als Facebook und Instagram aufkamen, hatte ich plötzlich ein riesiges Netzwerk. Domenico Dolce bot mir einen PR-Job bei Dolce & Gabbana an. Aus Nacht- wurde Tagesarbeit, was mir sehr recht war. Ich organisierte weiterhin Partys, aber nun auch für Givenchy und Chanel. Und bei jeder Eröffnung eines Prada-Geschäfts veranstaltete ich die Eröffnungspartys.

STANDARD: Und bald darauf begannen Sie mit dem Verkauf von T-Shirts.

Burlon: Ja, sie sahen recht simpel aus, eine Schlange oder Flügel waren darauf zu sehen. Diese Symbole sprechen mir aus der Seele, da sie Veränderung und Freiheit repräsentieren. Ein T-Shirt zu verkaufen ist unkompliziert. Anfangs produzierten wir 5.000 Stück, die im Nu ausverkauft waren. Bei der nächsten Kollektion produzierten wir schon 10.000, die auch nur so aus den Regalen flogen, dann 15.000. So ging es dahin. Heute designen wir jährlich zwei Kollektionen für Männer, Frauen und Kinder, die während der Modewoche in Mailand gezeigt werden.

T-Shirts waren einmal: Marcelo Burlons Mode orientiert sich am Geschmack einer jungen, internationalen Crowd, die sich vom Stil etablierter Designer abheben will.
Foto: Marcelo Burlon

STANDARD: Ihren Erfolg verdanken Sie also Ihrer Persönlichkeit und Ihrem großen Netzwerk?

Burlon: Absolut. Junge Menschen von überall auf der Welt folgen mir in den sozialen Netzwerken. Sie wollen ein Teil meines Lebens sein. Wir sind Gleichgesinnte, Stammesbrüder, wie ich gern sage. Das ist ein tolles Gefühl. Ich habe den perfekten Zeitpunkt erwischt, um ein Label zu gründen. Die T-Shirts erzählen meine Geschichte: Ich bin nach Patagonien geflogen und beschäftigte mich mit der Symbolsprache des Stammes der Mapuche. Hier liegen meine Wurzeln.

STANDARD: Was kostet eines Ihrer T-Shirts?

Burlon: 180 Dollar.

STANDARD: Das ist ganz schön viel.

Burlon: Club-Kids kaufen sich zwei oder drei T-Shirts im Monat. Dafür geben sie gern Geld aus. So wie ich damals.

STANDARD: Wie sehen Ihre Verkaufsstrategien aus?

Burlon: Ich habe keine. Zum ersten Mal zeigten wir unsere Kollektion in Berlin und auf der Art Basel in Miami. Ein Rapper kaufte eines meiner T-Shirts. Als er es in seinem Musikvideo trug, gab es einen Schneeballeffekt. Andere Rapper kauften sie ebenfalls so wie DJs und NBA-Spieler. 2012 gründete ich ein Einmannunternehmen. Später investierte ich in andere Designer und ihre Labels, in Off White und Palm Angel. Heute besteht unsere Gruppe aus fünf Designern und ihren jeweiligen Marken. Wir haben 170 Mitarbeiter. Gemeinsam setzen wir mehr als 100 Millionen Euro um. Dieses Jahr werden wir an die Börse gehen.

STANDARD: Werden Sie weiterhin in junge Designer investieren?

Burlon: Vielleicht. Meine Prioritäten verschieben sich gerade. Als ich letzten Dezember 40 Jahre alt wurde, hielt ich eine Liebesrede an meine Familie und meine Freunde. Es war wie eine Hochzeit. Wie gesagt: Wir sind ein Stamm. Ich baue ein Haus in Patagonien, das groß genug ist, damit meine Familie und meine Freunde immer bei mir wohnen können. Mit diesen Menschen möchte ich Zeit verbringen, mit ihnen möchte ich alt werden. Ich teile gern.

STANDARD: Sie scheinen furchtlos. Gibt es irgendetwas, das Ihnen Angst macht?

Burlon: Angst hatte ich nur, als wir von Patagonien nach Italien übersiedelt sind. Ich war 14 und sprach kein Wort Italienisch. Meine Eltern versuchten, sich ein neues Leben aufzubauen. Ohne Geld. Das waren harte Jahre. Die ganze Woche über freute ich mich auf das Wochenende, da konnte ich endlich in Clubs tanzen gehen. Das war mein Lichtblick, meine Hoffnung. (Cordula Reyer, RONDO, 17.8.2017)

Modemacher Marcelo Burlon in einem Mantel aus seiner Herbstkollektion.
Foto: Marcelo Burlon

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