Flow ohne Ende auf naturbelassenen, meist einsamen Trails. Der Reschenpass wartet mit einem in Österreich einzigartigen Angebot auf.

Foto: Gerhard Berger

Der Elven Trail am Mutzkopf – das Foto täuscht, als schwarzer Trail setzt die Strecke Erfahrung im steilen Gelände voraus.

Foto: Gerhard Berger

Die Region setzt auf Trennung von Bikern und Wanderern.

Foto: Gerhard Berger

Der Green Trail am Mutzkopf führt über teils felsigen Untergrund und teils über Waldboden.

Foto: Gerhard Berger

Die zahlreichen Trails sind gut beschildert. Die Wegweiser, wie hier im Bild, sind dem berühmten versunkenen Kirchturm im Reschensee nachempfunden.

Foto: Erwin Haiden

Nauders – Der Tretlager-Blog war wieder im Gelände unterwegs. Nach dem urbanen Flow auf den Wienerwaldtrails ging es diesmal ans andere Ende Österreichs. Nach Nauders am Reschenpass, eine in Tirol als oberes und oberstes Gericht bekannte Region, die direkt an Italien und die Schweiz grenzt. In einem Hochtal auf über 1300 Meter Seehöhe gelegen besticht das Örtchen Nauders durch alpinen Charme, nahe der Baumgrenze.

Und seit wenigen Jahren entsteht hier ein wahres Paradies für Mountainbiker, das hierzulande einzigartig ist. Im Folgenden konzentriere ich mich auf das abfahrtsorientierte Trailangebot mit Aufstiegshilfen, obwohl die Region auch für Rennradfahrer und Mountainbiker, die gerne Touren fahren, viel zu bieten hat.

Die Besonderheit dieser gar nicht mehr so geheimen Bike-Destination liegt in der Vielfalt an Trails sowie der Liebe zum Detail begründet. Man hat hier bewusst ein Konzept verfolgt, als vor wenigen Jahren die ersten Bike-Trails entstanden sind. Anstatt einfach darauf loszubauen, haben sich die Verantwortlichen offenbar Gedanken gemacht. So fließen die Geschichte und die Eigenheiten der Region auf charmante Weise in ihr Bikeangebot ein.

Die Region wirbt mit malerischer und einsamer Landschaft. Das kommt der Realität tatsächlich sehr nahe.
Nauders am Reschenpass

Es war nicht mein erster Besuch am Reschenpass. Doch um die Eindrücke vergangener Jahre aufzufrischen, war ein Lokalaugenschein nötig. Zudem war für Mariä Himmelfahrt endlich wieder Sonnenschein prognostiziert. Britsche Downhilltage hatten wir heuer beileibe genug. Nachdem ich die "3 Länder Enduro"-Trails – der Name rührt von den drei Staatsgebieten her, die sich hier treffen – schon mit dem All Mountain- und dem Downhillross probiert habe, und sich beide als nicht ideale Wahl erwiesen haben, griff ich diesmal zum Enduro als Weapon of Choice. 27,5 Zoll Bereifung und 160 Millimeter Federweg sind der ideale Untersatz, um die Trails am Reschenpass zu erkunden.

Als Ausgangspunkt für den Testtag wählte ich diesmal den Mutzkopflift, gleich am Ortseingang von Nauders. Ein nicht mehr ganz neuer Zweiersessellift mit Haken an den Seiten, an denen das Rad für den Bergtransport eingehängt wird. Keine ganz leichte Aufgabe, aber zum Glück fuhr ich einen sehr leichten Carbonhobel. Die beste Sesselliftlösung ist meiner Erfahrung nach immer noch die in Whistler, wo die Bikes auf eigene Transportbehelfnisse gerollt werden während man selbst einfach am Sessellift dahinter Platz nimmt – auch für kleinere und nicht so kräftige Personen locker machbar. Die anderen drei Bergbahnen des "3 Länder Enduros" sind übrigens Gondelbahnen.

Trailspaß für Erfahrene am Mutzkopf

Zurück zum Mutzkopf, meinem erklärten Lieblingsberg in der Region. Oben angekommen hat man die Qual der Wahl. Insgesamt sechs Trails in allen drei Schwierigkeitsgraden – analog zum Skifahren blau, rot und schwarz markiert – stehen zu Auswahl. Zum Aufwärmen empfiehlt sich gemütliches Einrollen über den Gerrytrail und den Kreuzmoostrail. Beide sind mit rot als mittelschwer markiert und ihre Routen kreuzen sich immer wieder, weshalb man ruhig ein wenig hin- und herwechseln kann. Die Trails sind für Biker mit Geländeerfahrung problemlos zu meistern. Sie sind sehr naturnah gebaut. Daher gilt es, lose Steine und Wurzeln im Auge zu behalten. Auch Steilstufen über Felsen und Wurzeln kommen ab und an vor.

Der Mutzkopf ist meines Erachtens kein Berg für Anfänger. Zwar bieten der Familytrail und die beiden Riatschwegele Trails im unteren Bereich auch blaue, also sehr einfache Passagen. Doch insgesamt sollte man das Befahren teils enger und steiler Naturtrails gewohnt sein. Erfüllt man diese Voraussetzung, sind dem Spaß beinahe keine Grenzen gesetzt. Gerade der Gerrytrail lässt bei wiederholten Abfahrten große Geschwindigkeiten zu. Gänsehautfeeling kam bei mir im unteren Abschnitt auf, wo er derart raffiniert gebaut ist, dass man sich auf einem natürlichen Pumptrack wähnt. Perfekt platzierte Bodenwellen garnieren den Geschwindigkeitsrausch mit etwas Airtime.

Österreichs einziges Gravity-MTB-Magazin Lines hat den Elven Trail am Mutzkopf bereits 2015 getestet.
Lines Mag

Mit dem Green Trail, ebenfalls rot markiert, und dem schwarzen Elven Trail hat der Mutzkopf auch Downhillfeeling zu bieten. Im oberen Bereich blockieren derzeit mehrere vom Wind gefällte Bäume die Strecke des Green Trails. Aber die werden wohl bald entfernt werden. Der Elven Trail wiederum führt an der anderen, weitaus steileren Bergflanke entlang. Die Trailbauer haben das Terrain hier geschickt genutzt und eine ebenso fordernde wie flowige Strecke in den Hang gezaubert. Steile und enge Kehren, dazwischen schmale, mit (Fels)stufen und Wurzeln durchsetzte Speedpassagen. Im unteren Teil, wo Green und Elven Trail entlang der Lifttrasse ineinander münden, ist mit feuchtem Untergrund zu rechnen. Hier drücken wohl Wasseradern aus dem Berg und sorgen für schlüpfrigen Spaß auf felsig-schlammigem Untergrund. Wem es zu rasant wird, der kann auch immer wieder auf Chicken Lines ausweichen.

Die Region am Reschenpass hat aber noch drei weitere mit Bergbahnen erschlossene Trailreviere zu bieten. Vom Mutzkopf aus kann man zur Bergkastelbahn auf der anderen Talseite wechseln. Je nachdem welche Abzweigung man erwischt, bedarf es eines kurzen oder sehr kurzen Weges entlang der Bundesstraße, um zur Talstation der Bergkastelbahn zu gelangen. Hier geht es mit bequemen Gondeln bergauf, wobei die Räder auch außen aufgehängt werden. Ein Tipp an das Liftpersonal: Die Plastiksitzunterlagen für schmutzige Biker sind ein netter Zug. Aber man sollte den Bikern auch dazusagen, dass sie diese an der Bergstation selbst wieder aus den Gondeln entfernen müssen. Schließlich ist man mit dem Herunterheben des Rades beschäftigt. Dabei nicht zu helfen, aber wegen der Plastikfolien zu schimpfen, ist kein netter Zug.

Flowtrails als Zukunft

Oben angekommen lädt ein großes Restaurant zur Einkehr. Speis und Trank sind gut, kosten aber Tiroler Preise. Derart gestärkt geht es nun auf dem Almtrail, eine blaue Strecke, hinüber zur Stieralm. Diese Abfahrt unterscheidet sich vom Charakter her grundsätzlich von jenen am Mutzkopf und sie ist ein Vorgeschmack auf die Zukunft der Region. "Denn der Trend geht in Richtung Flow Trails", wie der Geschäftsführer des örtlichen Tourimusverbandes (TVB), Manuel Baldauf, erklärt. Und so mäandert der Almtrail, der gut einen bis anderthalb Meter breit ist, gemütlich dahin. Naturbelassene Hindernisse wie Wurzeln und Steine sind die Ausnahme. Dafür ist der Trail auch für Anfänger problemlos befahrbar. Fortgeschrittene können hier die Bremsen öffnen und versuchen, die Erdwellen zu doubeln. Sie wurden meist bewusst so angelegt, dass man bei ordentlich Geschwindigkeit auch ordentlich springen kann. Doch Vorsicht: Es empfiehlt sich, beim ersten Mal passiv zu fahren, um die Strecke kennenzulernen.

Dieses Drohnenvideo zeigt die Schönheit des Plamorttrails, der zu den Panzersperren an der italienisch-österreichischen Grenze führt.
Jaime Alcántara

Am Ende des Almtrails liegt die Stieralm. Von hier aus geht es am Plamorttrail weiter. Es ist der wohl berühmteste Trail der Region, der die italienisch-österreichische Staatsgrenze quert. Es geht vorbei an alten Panzersperren und später, am weiterführenden Bunker- sowie Etschtrail, auch an den namensgebenden Bunkeranlagen aus dem Ersten Weltkrieg. Biken mit Bezug zur Geschichte. Infotafeln liefern Aufschluss über die bewegte Historie der Region. Unbedingt auch Fotopausen einlegen, denn nirgendwo bietet sich ein derart toller Blick auf den Reschensee, wie am Plamorttrail.

Die Strecken vom Bergkastel herunter enden an den Gestaden des Reschensees, der für seinen versunkenen Kirchturm weltberühmt ist. Seiner Form sind auch die markanten Wegweiser für Biker in der gesamten Region nachempfunden. Eine kurze Fahrt entlang des Ufers, hin zur wieder anderen Talseite, führt zur Schönebenbahn. Von deren Bergstation aus hat man nun drei Möglichkeiten. Entweder geht es über den blau markierten Oberen Spin Trail weiter gen Süden, also nach Italien. Dort führen mehrere Trails zur Haideralmbahn, der südlichsten Seilbahn im "3 Länder Enduro"-Verbund. Sie wartet mit der schwersten aller 21 Strecken, dem Haideralmtrail auf. Wer wiederum lieber der Schönebenbahn treu bleibt, kann den oberen und unteren gleichnamigen Trail probieren, die durch sehr naturbelassene Linienführung begeistern.

Ein Trail, drei Staatsgebiete

Wer jedoch etwas Schmalz in den Beinen übrig hat, sollte von Schöneben aus wieder zurück in Richtung Mutzkopf pedalieren. Dazu ist ein etwa halbstündiger Uphill nötig, die Transferstrecken sind auf der Bikekarte der Region immer grün und mit einem "T" eingezeichnet. Der kurze Uphill lohnt sich vor allem deshalb, weil er an der Reschneralm vorbeiführt. Neben echten regionalen Köstlichkeiten bietet diese Alm ein wunderschönes Bergpanorama. Doch am Ende der Transferpassage wartet der wahre Höhepunkt des "3 Länder Enduro" am Reschenpass: der 3-Länder Trail.

Auch das bietet die Region am Reschenpass: Nine Knights – die Show der weltbesten Slopestyler.
Nine Knights

Hier ist der Name Programm. Es ist der wohl einzige Trail der Welt, der über drei Staatsgebiete führt. Man startet in Italien, fährt zurück nach Österreich und dann entlang der Grenze zur Schweiz immer wieder auf eidgenössischem Territorium. Das ständig bimmelnde Handy, das über die jeweilige Tarifzone informiert, ist der beste Beweis für die Internationalität dieses Trails.

Fahrtechnisch und landschaftlich ist er zudem ein echtes Schmankerl. Unvergesslich ist der Ritt über das schier endlose Northshore, das eine ausgedehnte Hochmoorlandschaft überbrückt. Fast schon kitschig wird es, wenn man plötzlich vor den beiden Bergseen steht, an denen der Trail vorbeiführt. Die perfekte Gelegenheit für eine Rast. Am Ende steht noch eine kurze, aber sehr moderate Transferpassage an und schon ist man zurück am Gipfel des Mutzkopfes.

Das Gefühl, allein am Berg zu sein

Die beschriebene Tour ist trotz Aufstiegshilfen an einem Tag kaum schaffbar. Denn am Reschenpass gilt es zu genießen, nicht zu hetzen. Das Einzigartige an dieser Region ist für mich die Mischung aus liftunterstütztem Biken, außerordentlich gut gepflegten Strecken und der Einsamkeit hochalpinen Trailfahrens. Noch nie kam hier das Gefühl bei mir auf, in einem Bikepark zu sein. Die meiste Zeit ist man alleine im Hochgebirge unterwegs und genießt dennoch eigens für Biker angelegte Strecken. Wichtig ist daher, immer einen Rucksack mit allem, was für eine Tour durch die Berge nötig ist, mitzuführen.

Die Vielfalt an unterschiedlichen Trails ist der Philosophie der Auftraggeber, also den Tourismusverbänden auf österreichischer sowie italienischer Seite, geschuldet. "Wir beschäftigen bewusst verschiedende Trailbauer", erklärt Baldauf. Wobei, wie bereits erwähnt, der Trend nun in Richtung Flowtrails geht, weil diese für Anfänger besser geeignet sind. Zugleich habe man beobachtet, dass die einfacheren, querenden Trails bei der Masse der Biker besser ankommen, als die auf die Vertikale Falllinie ausgerichtete. Zum Glück wartet der Reschenpass aber mit beidem auf. Interessantes Detail am Rande zum Streckenbau: Als Grenzregion war der Reschenpass immer auch Zentrum von Schmuggleraktivitäten. Diese alten Schmugglerpfade waren mit die ersten Wege, die zu Trails umfunktioniert wurden.

Moderate Preise, gutes Angebot

Preislich bewegt sich die Region Reschenpass im akzeptablen Segment. Die Tageskarte kostet 29 Euro und gilt für alle vier Bahnen. Ein Drei-Tagesticket kommt auf 62 Euro, die Wochenkarte auf 91 Euro. In der Region gibt es bereits einige Hotels, die sich auf Biker als sommerliche Zielgruppe spezialisiert haben. Bei mehr als 35 Kilometern Trailabfahrten lohnt sich durchaus auch ein mehrtägiger Urlaub in der Region. Nähere Infos dazu sowie zum Bikeshop und -service Angebot finden sich auf der Homepage des TVB. In Sachen Geschäfte und Verleihangeboten befindet sich Nauders noch im Wachstum. Die Bandbreite an Verleihrädern könnte größer sein, gerade was das E-MTB-Segment anbelangt. Täglich geöffnete Bikeshops sind aber bereits vorhanden, sollte es an Sonn- oder Feiertagen zu einer Panne kommen. Auch das Trailangebot wächst jährlich. So kommt etwa 2018 ein über sieben Kilometer langer Flowtrail bei der Bergkastelbahn dazu.

Die Spezialisierung auf Mountainbiker zur Belebung des Sommergeschäftes habe sich für die Region gelohnt, wie der TVB-Geschäftsführer sagt: "Sie sind eine kaufkräftige Zielgruppe." Zudem gebe es noch Wachstumspotenzial. An guten Tagen verzeichne man bei den einzelnen Bergbahnen mittlerweile 500 Bergfahrten und mehr. Wobei die Biker den Löwenanteil davon ausmachen. Wie gut das Angebot ankommt, habe sogar die Touristiker überrascht, sagt Baldauf: "Wir haben uns sehr über die von Beginn an positiven Reaktionen gewundert." Um Konflikte mit der anderen Sommerzielgruppe, den Wanderern, zu vermeiden, setzt man am Reschenpass auf getrennte Wege: "Wir haben praktisch keine Shared Trails, sondern nur ausgewiesene Wander- oder eben Bikestrecken."

Viele Bike-Events in der Region

Die Bekanntheit der Region unter Enduristi und Trailfahrern steigt mit jedem Jahr. Heuer wird am 26. und 27. August sogar erstmals ein Qualifikationsrennen der Enduro World Series auf den "3 Länder Enduro"-Trails ausgetragen. "Die Startplätze waren nach zwei bis drei Tagen ausgebucht", erzählt Baldauf vom Ansturm. Aber auch die Weltspitze der Slopestyler gibt sich am Reschenpass ein Stelldichein. Von 4. bis 9. September findet wieder der Nine Knights-Contest auf der Haideralm statt. Und auch die Rennradfahrer quälen sich gerne und zahlreich über den Reschenpass oder das Stilfserjoch.

Insgesamt ist für die Region eine absolute Empfehlung auszusprechen. Wer gerne auf Trails fährt, das Naturerlebnis liebt und hochalpines Gelände schätzt, wird in Nauders sein Bike-Paradies finden. Aber auch reine Downhiller werden etwa am Mutzkopf genug Strecken für einen erfüllten Abfahrtstag vorfinden. Die Saison 2017 läuft bis zum 15. Oktober. Wobei es sich empfiehlt, den Wetterbericht im Auge zu behalten. Denn hier oben kann es zu frühen Wintereinbrüchen kommen. (Steffen Arora, 16.8.2017)