Einen "Thron", der neue Blicke auf den Untersberg ermöglicht, entwickelte Benedikt Meixl im Kurs von Andreas Lolis (hinten).


Foto: Mira Turba

An eine Einsiedelei erinnern die Pavillons, die sich die Bildhauer sozusagen "direkt an der Quelle" eingerichtet haben.

Foto: Mira Turba

Fürstenbrunn – Irgendwo kreischt eine Flex, dann huschen Wolken aus weißem Staub über den Schotterboden und zerstreuen sich über den Wipfeln der Bäume. Ein Anblick, der im Kiefer Steinbruch in Fürstenbrunn an sich vielleicht nicht sehr ungewöhnlich ist, augenblicklich allerdings auch als Zeichen der Liebe verstanden werden könnte, jener Liebe nämlich, die Bildhauer zum Stein empfinden. Jedenfalls dann, wenn es nach dem Künstler Andreas Lolis geht: "Ich arbeite nicht am Stein", korrigiert er schmunzelnd den STANDARD-Journalisten, "ich praktiziere Liebe mit ihm".

Lolis, geboren 1970 in Albanien, leitet dieses Jahr bereits zum zweiten Mal einen Bildhauereikurs der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg. Gegründet 1953 von Oskar Kokoschka, bietet diese Institution Kunstinteressierten alljährlich Gelegenheit, an Workshops teilzunehmen, sich auszutauschen, Wissen zu teilen. Während Klassen etwa für Malerei oder Zeichnung auf der Festung Hohensalzburg stattfinden, liegt Lolis’ Kurs dabei etwas weg vom Schuss, außerhalb der Stadt am Fuße des Unterbergs.

Wie eine Einsiedelei muten die weißen Pavillons an, in denen die Studenten arbeiten. Hier fällt der Blick auf organisch-weich anmutende Marmorobjekte, dort liegt eine Art Gerippe, gefertigt aus Stein. An eine archäologische Ausgrabungsstätte könnte man auch denken, allein dass die Studenten das, was sie hier freilegen, wenn man so möchte, in sich selbst finden.

Darum, seine Studenten in einen Austausch mit dem Stein treten zu lassen, geht es Lolis nicht zuletzt. Sie sollen dem Marmor nicht eine Form oktroyieren, sondern sich von diesem inspirieren lassen. Auf diese Weise sollen sie neue Perspektiven auf dieses Material gewinnen, das gemeinhin mit repräsentativen, edlen Objekten assoziiert wird.

Liebe zum Ephemeren

Ein Klischee, das der in Athen lebende Künstler auch in seiner eigenen Arbeit aufbrechen möchte. Lolis, dessen Arbeiten u. a. auf der aktuellen Documenta zu sehen sind, schafft Skulpturen, die ganz und gar nicht das zeigen, was man traditionell kunstwürdig nennt. So empfand er eine Pappkartonverpackung in Stein nach, aber auch Baupaletten oder Styroporverpackungen. Es handelt sich um Arbeiten, die über Nachhaltigkeit nachdenken lassen, aber auch eine Wertschätzung gegenüber dem Ephemeren vermitteln, und jedenfalls die Bildhauerei auf kluge Art in die Gegenwart holen.

Das Verlassen traditioneller Wege ist nun auch etwa für Studentin Patricia Domingues wichtig. Die 1986 in Lissabon geborene Künstlerin ist ausgebildete Schmuckdesignerin, die Zeit bei der Sommerakademie nutzt sie für Experimente. So schnitt sie etwa einen Steinring entzwei, um dessen "wahre Realität" freizulegen, wie sie sagt, während sie die Finger über die feine Textur im Inneren streichen lässt. "Undesigned Design", so nennt sie ihr Interesse auch: Sie arbeitet mit Verschnitt, legt das Augenmerk auf Fehler und Brüche.

Auch dies ein Ansatz, der Lolis am Herzen liegt. Abseits des handwerklichen Wissens will er vor allem auch den Blick schulen. "Alles kann Skulptur sein", sagt Lolis, zum Beispiel auch diese glatte Wand, da, hoch oben im Steinbruch. Es komme nur darauf an, wie man sie betrachte, was freilich nicht zuletzt eine Sache der Erfahrung sei. Der Kontemplation in eben genannte Felswand dient nun übrigens eine Art "Thron", den sein Student Benedikt Meixl aus dem Stein haute.

Dass der Stein ein "langsames Medium" ist – und fast ein bisschen zu langsam für einen vierwöchigen Kurs – diese Erfahrung machte Jeroen Vercruyssen. Eigentlich wollte der Belgier eine Katze bildhauern, wie er sagt, "zusammengemischt aus weißem Untersberg-Marmor und rotem Adnet-Marmor". Auch sonst arbeitet er, der eine einschlägige Ausbildung genoss, figurativ. Inspiriert auch durch Lolis hat er sein Konzept nun jedoch revidiert, den Blickpunkt verschoben: In Marmorblöcke, die als organische Strukturen betrachtet werden, werden Löcher und Ausnehmungen gearbeitet, die später mit anderen Versatzstücken gefüllt werden, so dass sich etwa "Wucherungen" bilden. Als Reflexion über Symbiose und Parasitentum versteht Vercruyssen dieses Konzept.

Der junge slowakische Künstler Kristián Németh vertieft im Kiefer Steinbruch unterdessen sein auf Kirchenkritik gerichtetes Œuvre. Der Künstler schuf schon früher Fotos, die etwa Ministranten mit verbogenen, recht phallisch wirkenden, Kirchenkerzen zeigen. Nun legte er ebensolche deformierten Kerzen auch im Marmor aus dem Fürstenbrunner Steinbruch frei: (Roman Gerold, 16.8.2017)