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Der Dr. Karl Lueger Ring wurde in Universitätsring umbenannt. Den Dr. Karl Lueger-Platz gibt es heute noch.

Foto: dapd/punz

Wien – Ein Blick auf die Wiener Straßen zeigt: Die Vergangenheit spielt eine große Rolle. Allerdings schlagen sich nicht nur die ruhmreichen Kapitel im Adressverzeichnis nieder. Ob der Dr.-Karl-Lueger-Platz mit Denkmal für den antisemitischen Bürgermeister, die Porschestraße im 23. Bezirk, erst in den 1970er-Jahren beschlossen, obwohl Ferdinand Porsche SS-Mitglied war, oder der Julius-Tandler-Platz im neunten Bezirk – der sozialpolitisch aktive Mediziner vertrat die Ansicht, "lebensunwertes Leben" sei zu vernichten. Dokumentiert wurde all das im 2014 erschienenen Buch Umstrittene Wiener Straßennamen.

Seither habe sich wenig getan, weiß der Historiker und Politikwissenschafter Florian Wenninger, der den Bericht gemeinsam mit Peter Autengruber, Oliver Rathkolb und Birgit Nemec verfasst hat: "Stadt und Bezirke schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu, wenn es um Umbenennungen geht", sagt er im STANDARD-Gespräch.

Auseinandersetzung zeigt "demokratisches Bewusstsein"

Er kann der Debatte über Bürgerkriegsdenkmäler in den USA etwas abgewinnen: Sie zeuge von einem demokratischen Bewusstsein, sich aktiv mit Erinnerungsorten auseinanderzusetzen. Das fehle in Österreich. Der Historiker verweist auf das Denkmal am Schillerplatz für den Dichter Josef Weinheber, der im Nationalsozialismus Karriere machte. Oder auf Gedenktafeln für den austrofaschistischen Kanzler Engelbert Dollfuß, die es bis heute gibt.

Anstatt den Bürgern die Möglichkeit zu geben, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sie zu Diskussionen einzuladen und sie einzubinden, wie es in Deutschland üblich sei, entscheiden sich die österreichischen Kommunen für den "Königsweg" – das Anbringen von Zusatztafeln.

"Straßen mit intensivem Diskussionsbedarf"

Den Menschen sei es im Alltag egal, welchen Namen ihre Straße trägt: "Sobald er aber geändert wird, fühlen sich die Bewohner persönlich angegriffen." Daher werden Umbenennungen "reflexartig vermieden". Oft höre er, dass eine Umbenennung die Geschichte auslösche. "Das ist ein Missverständnis. Straßennamen spiegeln nicht die Geschichte, sondern die gesellschaftliche Vormachtstellung einer Gruppe zur Zeit der Benennung wider." Und die ändert sich natürlich.

Auch der Radrennfahrer und Nationalsozialist Ferry Dusika findet sich im Wiener Straßenatlas wieder, obwohl die Dusikagasse im Historikerbericht als "Straße mit intensivem Diskussionsbedarf" eingestuft wurde. Ist seine Vergangenheit zu unbekannt? "Wer es wissen wollte, konnte es wissen", ist Wenninger überzeugt. Doch für manche habe der Sport eben mehr Bedeutung. (mte, 18.8.2017)