Für Felber liegt ein solidarischer Umgang miteinander eher in der Natur des Menschen als das Konkurrenzdenken des heutigen Handelsmodells.

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Christian Felber, "Ethischer Welthandel". € 18,50 / 224 Seiten. Deuticke, 2017

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Die Amerikaner importieren heute auf Kosten der Umwelt über den See- oder Luftweg Kekse aus Australien, während umgekehrt Australien Kekse aus Amerika importiert, und die Verfechter des freien Handels sind sich einig, dass dies allen nützen würde. "Der Austausch der Rezepte wäre aber mit Sicherheit wirtschaftlicher", sagt hingegen der Ökonom Herman Daly, und Christian Felber, der sich als "Genie hinter der Gemeinwohl-Ökonomie" und Attac-Aktivist einen Namen gemacht hat, gibt ihm in seinem Buch Ethischer Welthandel natürlich recht.

Darin beschreibt er zunächst, dass hinter der Idee Freihandel einmal "das Gemeinwohl" gestanden wäre, heute aber wäre "die Religion unserer Zeit" längst zum allumfassenden Grundrecht von juristischen Personen geworden, bei denen einst fraglich war, ob sie überhaupt Rechte haben sollten. Diese Grundrechte dürften nun nicht mehr eingeschränkt werden, sodass der Weltkonzern, der seine Milliardengewinne in Steueroasen vor den Finanzbehörden versteckt, juristisch gegenüber der zahnlosen Bäuerin in Peru nicht benachteiligt (!) werden dürfe.

Auch darf die Wirtschaftsfreiheit des Sklavenhalters nicht geringer bewertet werden als das Recht auf Menschenwürde oder sein Grundrecht auf Freiheit, das der Sklave eigentlich hätte. Eine 3sat-Doku zeigte erst unlängst, dass ganz Europa voll ist mit solchen modernen Arbeitssklaven, auf deren Kosten die Unternehmer ihre Gewinne steigern und sich Kostenvorteile im globalen Wettbewerb verschaffen. Die EU-Kommission ignoriere das Problem aber und erklärt: "Europa darf nicht in Protektionismus verfallen, er erhöht Preise für Unternehmen und Verbraucher und verringert die Auswahl." Wo sind die Beweise dafür?, fragt Felber.

Komparative Kostenvorteile

Die Welthandelsorganisation WTO baut ihre Idee von Freihandel, wie wir ihn heute kennen, auf dem "Kronjuwel" der Wirtschaftswissenschaften auf, dem "Lehrsatz der komparativen Kostenvorteile" des Ökonomen David Ricardo aus dem Jahr 1817: Ist ein Land in der Herstellung von Produkt A und Produkt B relativ besser als ein anderes, so wird es trotzdem die Produktion von Produkt B dem anderen Land überlassen, sodass beide Länder etwas davon haben, wenn sie ihre Produkte untereinander handeln. Die Richtigkeit dieses Theorems wurde aber, so Felber, nie nachgewiesen, im Gegenteil würden sich die davon profitierenden Länder selbst nicht daran halten.

Ist es unvorstellbar, dass der "Exportweltmeister" Deutschland freiwillig die Produktion landwirtschaftlicher Produkte den Griechen überlassen würde, um die schiefe Handelsbilanz zwischen den beiden Ländern auszugleichen und so Griechenland beim Abbau seiner Schulden zu helfen? Es gibt seriöse Ökonomen, die genau das fordern, mit Blick darauf, dass es in der "Oikonomia" ursprünglich um "die Ordnung des Hauses" gegangen wäre, nicht um die Kunst des Gelderwerbes, die Chrematistik. So unterschied Aristoteles.

"In der ganzen Wirtschaftsgeschichte gab es keine konsequente Anwendung des Ricardo-Theorems", schreibt Felber, trotzdem werde Kritik am Freihandel stets durch den Vorwurf immunisiert, man wäre gegen "Freiheit". Als natürlichen Feind des Freihandels hätten seine Verfechter den "Protektionismus" ausgemacht, ohne aber je zu erwähnen, dass Länder wie Großbritannien in ihrer Entwicklung erst durch Zölle groß wurden, durch die Abschottung der eigenen Wirtschaft.

Abneigung, Geburtsland zu verlassen

Felber erklärt, dass das Modell des Freihandels immer noch auf der vor 200 Jahren vielleicht nachvollziehbaren, aber heute widerlegten "Annahme der Unbeweglichkeit des Kapitals und der Arbeitskräfte" beruhen würde, dass also "das Kapital innerhalb der Grenzen der Nation bleibt", weil nämlich der Besitzende "eine natürliche Abneigung" hätte, das Land seiner Geburt zu verlassen. Die Menschen mit Vermögen würden sich nach dieser Idee also mit einer niedrigeren Profitrate im eigenen Land begnügen, anstatt wie Heuschrecken über andere Länder herzufallen zum Zwecke der Profitmaximierung. Im heutigen Freihandel, so Felber, ginge es aber nicht mehr um "relative", sondern um "absolute" Vorteile, die sich die Systemprofiteure längst über nationale Grenzen hinweg verschaffen würden.

Als Alternative zu Freihandel und Protektionismus schlägt Felber ein Modell der Gemeinwohl-Ökonomie vor: Ethisch zu handeln solle sich lohnen. Unternehmen würden Pluspunkte für faire Löhne bekommen und dafür rechtliche oder steuerliche Vorteile und Zugang zu öffentlichen Aufträgen in Anspruch nehmen. Dadurch würden regionale Produkte günstiger werden. Außerdem läge ein solidarischer Umgang miteinander eher in der Natur des Menschen als das ruinöse Konkurrenzdenken des heutigen Handelsmodells, das Zivilisationskrankheiten wie Burnout, Sinnleere und Überforderung nach sich ziehe. Das müsse kein Traum bleiben, versichert Felber, sondern wäre machbar. (Manfred Rebhandl, 19.8.2017)