Barcelona, ja ganz Katalonien ist seit langem das Sorgenkind der spanischen Sicherheitsbehörden, aber auch internationaler Geheimdienste. So warnte die CIA bereits vor zwei Jahren vor der Gefahr eines Anschlags in Barcelona, ganz besonders vor einem auf der jetzt betroffenen Flaniermeile Las Ramblas.

Tatsächlich liegt die Provinz Barcelona im Fokus des radikalen Jihadismus in Spanien: Seit 2012 wurden bei 30 Polizeioperationen in Katalonien 62 mutmaßlich gewaltbereite Islamisten festgenommen. Gar die Hälfte der in Spanien auffällig gewordenen salafistischen Gruppen und 80 der rund 100 radikalen Gebetshäuser in Spanien befinden sich in und um Barcelona. Die Finanzierung der Moscheen stammt, Ermittlungen zufolge, zu einem guten Teil von Geschäftsleuten am Persischen Golf.

Nährboden für Konvertiten

Nährboden gibt es hier nicht nur für jüngst zugezogene und bereits in Spanien geborene Muslime, sondern auch für Konvertiten. Sie stammen oft aus den Immigrantenvierteln rund um die katalanische Hauptstadt. 40 Prozent der in Spanien wegen ihrer Beziehungen zu islamistischen Terrorgruppen Verurteilten stammen aus der Region.

Ein weiterer Fokus islamistischer Aktivitäten sind die beiden spanischen Exklaven an der Nordküste Afrikas: Ceuta und Melilla. Hier sollen ganze Stadtteile fest in der Hand salafistischer Prediger sein. Die Attentäter von Barcelona hatten ihr Tatfahrzeug und einen mutmaßlichen Fluchtwagen, der in der Kleinstadt Vic gefunden wurde, in Melilla angemietet.

Ganz generell nimmt Spanien eine Schlüsselrolle in der islamistischen Weltanschauung ein: Für Al-Kaida und auch den "Islamischen Staat" (IS) ist das Land auf der Iberischen Halbinsel nach wie vor "Al-Andalus" – das von 711 bis 1492 muslimisch beherrschte und dann von Christen besetzte Land des goldenen Zeitalters des Islam.

Zeitpunkt nicht zufällig gewählt

Die Anschläge mit Fahrzeugen von Nizza, Berlin, London und jetzt Barcelona gleichen einander – und doch gibt es einen ganz entscheidenden Unterschied: Die islamistischen Terroristen in Spanien wählen ihre Ziele und den Zeitpunkt nicht von ungefähr. Sie kennen sich mit spanischer Innenpolitik gut aus und mischen sich auf ihre blutige Art und Weise ein. Das war auch am 11. März 2004 so, als mehrere Bomben in Madrider Nahverkehrszügen 192 Todesopfer forderten. Sie brachten die damalige konservative Regierung zu Fall, und der siegreiche Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero zog die zuvor an der Seite der USA und Großbritanniens in den Irak geschickten Truppen wieder ab.

Auch jetzt steht ein Urnengang an: Die Autonomieregierung in Katalonien bereitet für den 1. Oktober ein von Madrid bekämpftes Unabhängigkeitsreferendum vor. Der Zeitpunkt wurde kaum zufällig gewählt: Die Terroristen suchen gezielt Risse im System und hauen in diese Kerbe.

Doch die Behörden in Barcelona bewiesen im Umgang mit den Attentaten, dass Katalonien funktionieren kann, die Polizei erwies sich als äußerst effektiv. Allerdings sollten die Katalanen eines nicht vergessen: Die Solidarität im restlichen Spanien ist enorm. Die Spanier sind geschockt, leiden mit. Sie wollen ein gemeinsames Land, eines mit Katalonien – nicht aus dumpfem spanischem Nationalismus heraus, sondern aus tiefer Sympathie. Es wäre einen Versuch wert, ein Spanien zu schaffen, in dem alle Platz haben und in dem man gemeinsam gegen die Gefahren der Zukunft vorgeht. (Reiner Wandler, 18.8.2017)