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Jerry Lewis, einer der bedeutendsten Komiker des 20. Jahrhunderts, ist am Sonntag 91-jährig gestorben.

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Gefangen im Mädchenpensionat unter lauter Schönheiten: Jerry Lewis in "The Ladies Man" (1961).

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Las Vegas – Das Scheitern erzählt oft mehr über einen Menschen als der Erfolg. Sich an Jerry Lewis zu erinnern und dabei an seinen größten Misserfolg zu denken, der ihm noch jahrzehntelang zusetzen sollte, mag unpassend erscheinen. Doch als Jerry Lewis 1972 in Stockholm wenige Tage vor Ende der Dreharbeiten zu seinem Film "The Day The Clown Cried" die Koffer packte und nach Los Angeles heimflog, war etwas geschehen, was man als logische Konsequenz bezeichnen kann.

Lewis spielte einen deutschen Clown, der jüdische Kinder im Konzentrationslager in ihren letzten Stunden in eine Welt der Illusion versetzte. Es war der Versuch des jüdischen Filmemachers Jerry Lewis, dem Schecken des Holocaust mit den Mitteln der Komödie – also mit dem, was er zeit seines Lebens am besten beherrschte – beizukommen. Doch Lewis war in seinen eigenen Augen, nach seinen eigenen, perfektionistischen Maßstäben gescheitert. Lewis’ größtes Projekt verschwand im Archiv und ward nie mehr gesehen.

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Mit Dean Martin 1976 wiedervereint in Las Vegas. In seiner Autobiografie "Dean & Me" beschreibt Lewis das angespannte Verhältnis des kongenialen Duos.
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Es waren jene Jahre, in denen Woody Allen seine ersten Erfolge feierte, als sich Jerry Lewis nach mehreren Rückschlägen eine Zwangspause verordnete. Im Gegensatz zum großstädtischen, intellektuellen Kollegen aus New York, der die amerikanische Filmkomödie neu ausrichtete, tauchte Lewis für mehrere Jahre unter und erst mit dem missachteten "Hardly Working" (1980) wieder auf. Doch Jerry Lewis war nicht mehr derselbe wie früher. Dieser "King of Comedy", der Entertainer, den er 1982 in Martin Scorseses gleichnamiger bitterer Farce über die US-Unterhaltungsindustrie darstellte, dieser einsame König war er selbst geworden. Er hätte es aber nicht werden können ohne jenes herausragende Werk, mit dem er als Schauspieler, Autor und Regisseur die US-Filmkomödie seit 1945 wegweisend bestimmt hatte. Und nicht ohne jene Entwicklung, die er als Künstler durchmachte.

Von Kindesbeinen an

Geboren 1926 in Newark, New Jersey, als Joseph Levitch, Sohn eines Musikerehepaars mit russischen Wurzeln, lernt Jerry die Kunst der Unterhaltung von Kindesbeinen an. Als Teenager schlägt er sich durch die Untiefen des Vaudeville und bietet seine "Record Acts" dar – wildes Grimassieren zu Schallplattenaufnahmen bekannter Künstler, eine Nummer, mit der er auch in das Programm seines späteren Partners Dean Martin einsteigen wird. Lewis und Martin bildeten bis zum künstlerischen und persönlichen Bruch zwischen den beiden 1956 das erfolgreichste Comedy-Duo der Nachkriegszeit, mit eigener Radioshow, Bühnenauftritten, der populären "Colgate Comedy Hour" auf NBC und insgesamt 16 Spielfilmen in zehn Jahren.

The Hollywood Reporter

Wie überall neigt man auch bei Lewis zu Periodisierungen: Da wären die frühen Filme an der Seite von Martin. Dann die Zusammenarbeit mit dem Regisseur und ehemaligen Comiczeichner Frank Tashlin, dessen Liebe für die Kunst des Zeichnens in vielen Lewis/Martin-Filmen bemerkbar bleiben wird, allen voran "Artists and Models" (1955), in dem die beiden als Werbemaler die Welt und sich selbst bekleckern. Und schließlich jene Jahre der Solokarriere, als Lewis die alten Gefährten und Mentoren endgültig hinter sich ließ – seinem Selbstverständnis entsprechend hinter sich lassen musste.

Lustvolle Schizophrenie

In den 60er-Jahren war Lewis auf dem Höhepunkt seines Ruhms angekommen, in Europa gar als Autorenfilmer akklamiert. Der Prozess, den Lewis in dieser Phase durchläuft, ist erstaunlich: In "The Bellboy" (1960), seinem Regiedebüt, vertraut Lewis zwar noch auf Slapstick und Körperkomik, zugleich aber wie Jacques Tati auf eine innovative Bildgestaltung. Seine multiplen Charaktere wie etwa in "The Nutty Professor" (1963), einer Jekyll-&-Hyde- und Martin-&-Lewis-Paraphrase, wünschen sich nichts sehnlicher als eine andere (und das ist sehr oft eine eigene) Identität. In diesen Filmen tritt die Zerrissenheit der von Lewis' dargestellten Figuren, als "The Kid" und "The Id(iot)", immer deutlicher zutage, gewinnt die Psychologisierung zunehmend die Oberhand, bis sie schließlich in lustvoll inszenierter Schizophrenie gipfelt ("The Family Jewels", 1965; "Three on a Couch", 1966).

Besonders Lewis’ Solofilme erzählen von diesem Wunsch nach einer eigenen Identität, nicht nur als Subjekt in einer Gesellschaft im Umbruch, sondern auch als Regisseur, Autor und Darsteller im Showgeschäft. Als Lewis für "The Bellboy" von Billy Wilder eine Absage erhält, ruft er seinen Vater an. "Wenn du Wilder nicht bekommen kannst, mach es selbst", soll dieser gesagt haben. Jerry Lewis machte in der Folge nicht nur vieles, sondern fast alles selbst – wie die großen Komiker Chaplin und Keaton vor ihm als Einmannunternehmen immer an der Grenze des Möglichen.

Jerry Lewis 1963 in der legendären Szene im Film "Who's Minding The Store?".
Cinema Classico

Jerome Littlefield, Homer Flagg, Herbert H. Heebert, Morty S. Tashman, Norman Phiffier – und wie die überspannten, hysterischen Lewis-Charaktere alle heißen –, sie waren und sind nichts anderes als moderne Märchenfiguren: in einer überdrehten Welt namens Amerika. Jerry Lewis’ Kinofigur, das war der Vernachlässigte, der sich um Anschluss an eine Gesellschaft bemüht, die nichts anderes wahrnimmt als Hochglanzwerbeprospekte und die ihn mit Staubsaugern und Rasenmähern verfolgt. Der Ausgestoßene, der seinen Freund um seiner selbst willen liebt, auch wenn es sich bei diesem um einen italoamerikanischen Frauenhelden und Crooner handelt; und er war der Traurige, der immer helfen will, vor allem jenen Menschen, für die seine Hilfe eine Katastrophe bedeutet. Lewis war die schillernde und zugleich die dunkle Seite des amerikanischen Traums.

Jerry Lewis, einer der bedeutendsten Komiker des 20. Jahrhunderts, ist am Sonntag im Alter von 91 Jahren in Las Vegas gestorben. (Michael Pekler, 21.8.2017)