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Galilei war fest davon überzeugt, dass der Mond keine Rolle bei der Erklärung der Gezeiten spielt.

Foto: Reuters/JIM YOUNG

Wenn Wissenschafter Fehler machen, dann werden sie dafür in aller Regel von ihren Kollegen kritisiert. Der Umkehrschluss ist allerdings nicht richtig: Nicht immer hat man einen Fehler gemacht, wenn man kritisiert wird. Nicht oft, aber doch immer wieder ist eine Entdeckung so revolutionär, eine Erkenntnis oder Idee so ungewöhnlich, dass der Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft sie vorerst einfach ablehnt.

Ein oft zitierter Fall ist Galileo Galilei. Der Pionier der modernen Naturwissenschaft wurde wegen seiner Ansichten bezüglich der Rolle der Erde im Kosmos heftig kritisiert und verfolgt. Er war der Ansicht, dass die Erde weder das Zentrum des Universums sei noch dass sie unbewegt im Kosmos verharre. Vielmehr würde sie sich beständig um die Sonne herum bewegen. Als Beleg dafür führte er die Beobachtungen an, die er zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit dem damals brandneuen Teleskop durchgeführt hatte.

Die Abfolge der Phasen der Venus, die er erstmals beobachten konnte, ließen sich seiner Meinung nach nur durch eine bewegte Erde erklären. Die ebenfalls von Galilei entdeckten Monde des Jupiters zeigten ebenfalls, dass sich nicht alles um die Erde herum bewegt. Und trotz aller Drohungen und der Verfolgung durch die Kirche wissen wir heute: Galileo Galilei hat recht gehabt.

Die Rolle des Mondes

Aber nicht mit allen seiner Argumente! Bei einer seiner Erklärungen, die er als besonders guten Beleg für die Bewegung der Erde empfand, hat Galileo Galilei sich massiv geirrt. Es geht um die Gezeiten, die Abfolge von Ebbe und Flut, die in den Ozeanen der Erde zu beobachten ist. Nur erklären ließen sie sich lange nicht.

In der Antike und im Mittelalter gab es jede Menge Vermutungen. Der persische Gelehrte Al-Qazwīnī dachte im 13. Jahrhundert zum Beispiel, dass Sonne und Mond das Wasser der Meere periodisch aufheizen würden, wodurch es sich regelmäßig ausdehnt. Andere dachten, dem Magnetismus ähnliche Kräfte würden vom Mond aus auf die Ozeane wirken. Dass unser Begleiter irgendetwas mit dem regelmäßigen Auf und Ab des Wassers zu tun haben muss, vermuteten die meisten. Immerhin konnte man ja immer wieder Übereinstimmungen im Ablauf von Ebbe und Flut und den Mondphasen beobachten. Nur Galileo Galilei war fest davon überzeugt, dass der Mond keine Rolle bei der Erklärung der Gezeiten spiele.

Schwappende Ozeane

Er hatte eine andere Idee. Vermutlich ließ er sich dabei von den kleinen Booten inspirieren, die regelmäßig Süßwasser in die Lagunenstadt Venedig brachten. Wenn diese Barken sich mal schneller und mal langsamer über das Meer bewegten, dann schwappte das Trinkwasser in ihren Bottichen hin und her. Genau so müsse es auch bei der Erde sein, dachte Galilei. Er war ja beständig auf der Suche nach neuen Belegen, mit denen er seine Mitmenschen davon überzeugen konnte, dass unser Planet sich ebenfalls bewegt.

Und mit den Gezeiten meinte er, ein ganz besonders gutes Indiz entdeckt zu haben. Die Erde bewegt sich um die Sonne herum und dreht sich dabei gleichzeitig um ihre eigene Achse. Die Kombination dieser unterschiedlichen Bewegungen führt laut Galilei dazu, dass das Wasser in den Ozeanen mal beschleunigt und mal gebremst wird: Es "schwappt" also in den Meeresbecken hin und her.

Seine Theorie beschrieb er 1616 in "Discorso sopra il Flusso e Reflusso del Mare" – das Werk blieb aber unveröffentlicht. Galilei schaffte es nicht, seine Idee zu einer vollständigen Theorie auszuarbeiten, mit der sich der reale Ablauf von Ebbe und Flut vorhersagen ließ. Trotzdem ist die Gezeitenerklärung Teil seines berühmten Buches "Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme", in dem er geozentrisches und heliozentrisches Weltbild gegenüberstellt. Darin propagiert Galilei die Ansicht, dass die Erde sich um die Sonne bewegt; seine Gezeitentheorie dient ihm als wichtiges Argument dafür.

Fehler passieren

Was die Rolle der Erde im Sonnensystem angeht, hatte er absolut recht. In diesem Fall wurde Galilei für seine Ansichten zu Unrecht kritisiert. Bei der Erklärung der Gezeiten lag er allerdings deutlich daneben. Seine Zeitgenossen wiesen ihn durchaus auch darauf hin, dass da irgendwas nicht ganz zusammenpassen würde. Aber Galilei war zu sehr davon getrieben, die Bewegung der Erde durch reale Beobachtungen und Phänomene zu belegen. Die Rolle des Mondes für die Gezeiten hat er zu Unrecht ignoriert. Wäre er hier ein wenig offener gewesen, dann wäre er vielleicht sogar dem großen Isaac Newton zuvorgekommen, der die Gezeiten erstmals plausibel durch die vom Mond auf die Erde ausgeübte Gravitationskraft erklären konnte.

Wenn sich heute Pseudowissenschafter und Esoteriker mit Galileo Galilei vergleichen und erklären, dass der ja für seine revolutionären Entdeckungen auch zuerst von allen ausgelacht wurde, obwohl er recht hatte, dann machen sie damit nicht nur einen logischen Fehlschluss und vergessen, dass eine Behauptung nicht automatisch deswegen richtig ist, weil man dafür kritisiert wird. Sie ignorieren außerdem, dass selbst Galilei nicht mit allem recht hatte. Auch große Revolutionäre können sich irren und für ihre Fehler zu Recht kritisiert werden. (Florian Freistetter, 22.8.2017)