Nach der Sommerpause hat das Gericht in der südungarischen Stadt Kecskemét das Verfahren gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen für die Flüchtlingstragödie von Parndorf mit 71 Toten fortgesetzt. Richter János Jádi verlas am Dienstag die Aussagen von Zeugen, die nicht eigens zu diesem Prozess vorgeladen wurden.

In dem Prozess sind insgesamt elf Männer unter anderem wegen gewerbsmäßiger Schlepperei angeklagt. Vier von ihnen wirft die Staatsanwaltschaft zudem mehrfachen Mord unter besonders grausamen Umständen vor. Ein Afghane und drei Bulgaren sollen vor fast genau zwei Jahren die Fahrt jenes Kühllasters organisiert und durchgeführt haben, in dessen Laderaum 71 Flüchtlinge qualvoll erstickten.

Der abgestellte, führerlose Lkw mit den Leichen der Opfer war am 27. August 2015 in einer Pannenbucht der A4 bei Parndorf gefunden worden.

Die anderen sieben Männer – sechs Bulgaren, von denen einer flüchtig ist, sowie ein libanesisch-bulgarischer Doppelstaatsbürger – sollen an gut zwei Dutzend weiteren Schleuserfahrten beteiligt gewesen sein. Die Zeugenaussagen, die Richter Jádi verlas, warfen ein Schlaglicht auf die Skrupellosigkeit und Grausamkeit der mutmaßlichen Schlepper.

"Wir hatten Angst, zu ersticken"

Mehr als 50 Menschen wurden im Laderaum eines Mercedes Sprinter oder VW Crafter, 38 in dem eines Fiat Ducato und 18 im Inneren eines Renault Espace zusammengepfercht. Stehen geblieben wurde bei diesen Fahrten so gut wie nie. Passagiere kollabierten, Wasser lassen mussten sie im Laderaum. "Wir hatten Angst, zu ersticken" oder "sie behandelten uns wie Vieh" waren immer wiederkehrende Aussagen von Überlebenden.

Die Vorhaltungen der Zeugenaussagen nahmen die Angeklagten ohne Stellungnahme zur Kenntnis. Auch im bisherigen Verfahren äußerten sie sich zu den Vorwürfen nicht, den Zweitangeklagten ausgenommen. Der Bulgare hatte sich vor der Sommerpause zu einer längeren Aussage bemüßigt gefühlt. Ihm ging es darum, seine eigene Rolle herunterzuspielen. Er sei nur ein "Dolmetscher" des mutmaßlichen Bandenchefs gewesen.

Die Staatsanwaltschaft sieht in ihm jedoch den Stellvertreter des Afghanen, der die bulgarischen Fahrer und Späher für die Schlepperfahrten rekrutiert und instruiert haben soll.

Das Material, das Richter Jádi präsentierte, legt jedenfalls eine aktivere Rolle des Bulgaren nahe. Als einen Monat vor dem Parndorfer Drama nahe dem bayerischen Ort Engelsberg ein Citroën Jumper mit 38 Flüchtlingen entdeckt wurde – sie überlebten, weil sie Schlitze in die Plane des Laderaums geschnitten hatten -, war der Fahrer verschwunden. Doch Zulassungsschein und die Versicherungspolizze, die zurückgelassen wurden, waren auf den Zweitangeklagten ausgestellt. (Gregor Mayer aus Kecskemét, 22.8.2017)