Gillian Anderson als Stella Gibson in "The Fall" – eine Idealbesetzung.

In den 1990er-Jahren setzte Gillian Anderson in "Akte X" Standards – und versammelte eine (weibliche) Fangemeinde hinter sich: Als toughe FBI-Agentin Dana Scully sorgte sie in der Mystery-Serie für die nötige Portion Ratio, während sich Kollege Fox Mulder in die Welt der übersinnlichen Phänomene und Verschwörungen stürzte.

Zwanzig Jahre später schlüpft Anderson für eine BBC-Produktion erneut in die Rolle der TV-Kommissarin, diesmal als Detective Superintendent Stella Gibson. In der Netflix-Serie "The Fall" wird die Londoner Kriminalistin nach Belfast geschickt, um dort die laufenden Ermittlungen in einem brisanten Mordfall zu leiten. In der Männerwelt Polizeirevier zeigt sich die kluge Kommissarin von sexistischen Zwischentönen gänzlich unbeeindruckt und holt sogleich Polizistin Danielle an ihre Seite, die in Gibson eine Mentorin findet. Schnell wird klar, dass die BeamtInnen einen Serienmörder jagen – es ist der Sozialarbeiter und Familienvater Paul Spector, der jungen, attraktiven Frauen nachstellt und ihnen schließlich in ihren Wohnungen auflauert.

Tote Frauen

Hier reiht sich "The Fall" in einen Kanon von TV-Serien ein, die den sogenannten "Dead Women"-Topos zelebrieren. Seit die wunderschön-mystische Leiche von Laura Palmer in David Lynchs‘ "Twin Peaks" auftauchte und das All-American Girl im Laufe der Fernsehermittlungen seine Unschuld verlor, wurde die Geschichte des geheimnisvollen Frauenmords wiederholt erzählt und kunstvoll in Szene gesetzt.

Netflix

Zu Recht kritisierten JournalistInnen "The Fall" für seine ästhetisierten Gewaltdarstellungen und die ausschweifende Charakterstudie des Schönlings und Serienmörders Paul Spector. Und dennoch: Die Figur der Stella Gibson, die in der TV-Landschaft ihresgleichen sucht, und das Interesse für die Geschichten der Gewaltopfer verleihen "The Fall" dennoch das Prädikat sehenswert.

Bechdel-Test? Mit Bravour bestanden

Als ein Kollege Gibsons eine Pressemeldung vorbereitet, in der die Rede vom "unschuldigen Opfer" ist, weist die Kommissarin ihn zurecht. Das sei keine relevante Kategorie – wäre das nächste Opfer eine Sexarbeiterin oder eine betrunkene Frau im Minirock, würde dieses Adjektiv sogleich aus der medialen Berichterstattung verschwinden. Auch Stellas Sexualität wird in der Serie zum Thema: Als die bisexuelle Kommissarin eine unverbindliche Nacht mit einem jungen Polizisten verbringt und dies an die Öffentlichkeit gelangt, verweigert sie sich kühl den stereotypen Zuschreibungen durch die Kollegen.

Aber auch emotional erlebt man Stella, etwa in Gesprächen mit einer Zeugin und Gewaltbetroffenen – den Bechdel-Test besteht "The Fall" mit Bravour. Eine Fortsetzung unter neuer Regie hätte sich Stella Gibson allemal verdient – Frauenmorde dürfen dabei gerne ausgeklammert bleiben. (Brigitte Theißl, 23.8.2017)