Die konventionelle Weisheit erwartet, dass Sebastian Kurz die Wahl gewinnt und dann mit der FPÖ eine schwarz-(türkis-)blaue Koalition macht. Kann natürlich so kommen, aber Schwarz und Rot könnten doch wieder zusammenkommen, diesmal allerdings in umgekehrter Reihenfolge.

Konkret: In politischen Kreisen, auch in jenen der SPÖ, wird bereits die Möglichkeit diskutiert, die Nummer zwei unter einem Kanzler Kurz abzugeben. Der Vizekanzler hieße dann allerdings Hans Peter Doskozil.

Der Weg dorthin beginnt natürlich mit einer Niederlage der SPÖ mit Kanzler Christian Kern. Sie verliert den Platz eins, den sie in den Umfragen längst verloren hat, auch am Wahltag. Kern startet nun zwar seine "Aufholjagd", und tatsächlich gilt er als einer, der erst dann zu Hochform aufläuft, wenn es fast schon zu spät scheint.

Schwerer wiegt, dass die Konjunkturlage gut ist und das Thema Arbeitsplätze / soziale Sicherheit den Österreichern sehr wichtig ist.

Allerdings waren auch die letzten Tage von viereckigen Rädern am SPÖ-Wahlkampfbus gekennzeichnet. Die SPÖ wurde zur Partei der Entschuldigungen: Kern musste sich quasi entschuldigen, dass er den fragwürdigen Berater Tal Silberstein nicht schon bei Bekanntwerden der Skandale abgebaut habe; Parteisekretär Georg Niedermühlbichler musste sich bei allen Frauen entschuldigen, dass er etliche der weiblichen Quereinsteiger der Liste Kurz als unbedarfte Promitussis dargestellt hatte; und ein Parteimitarbeiter, der jetzt das tut, was Silberstein getan hat, musste sich bei Norbert Hofer entschuldigen, dass er ihm im Hofburgwahlkampf mit dem Krüppellied persönlich beleidigt hat.

Wichtiger erscheint, dass Sebastian Kurz den offenkundigen Wunsch sehr vieler Österreicher nach Veränderung irgendwie geschickt verkörpert, obwohl er noch gar nicht genau sagt, was er eigentlich verändern will.

Wenn die Wahl nicht gut für die SPÖ ausgeht, steht diese vor einer starken Zerreißprobe. Der Gewerkschaftsflügel und die rechten Sozialdemokraten wären wohl dafür, dass man in der Regierung bleibt. Besser als in Opposition und dann halt als Nummer zwei mit Doskozil, wenn es gar nicht anders geht.

Das hätte den Vorteil eines gewissen Machterhalts.

Es hätte aber unter Umständen den Nachteil einer Parteispaltung. Der linksliberale Flügel der SPÖ würde da nicht unbedingt mitmachen, zumindest wären heftige Auseinandersetzungen zu erwarten. Die österreichische Sozialdemokratie wäre jedenfalls auf lange Zeit als bestimmender Faktor schwer geschädigt.

Einiges wird davon abhängen, wie stark die SPÖ verliert – und ob sich eine Koalition mit der FPÖ ausgeht, in der sie den Kanzler stellt. Wenn das irgendwie geht, wird sie es machen, allerdings auch da mit Doskozil, nicht mit Kern.

Aber in der Not ist auch eine Juniorpartnerschaft unter Kurz denkbar, die allerdings das Schlucken von mehreren Tonnen Kröten bedeuten würde. Und Kurz würde das vielleicht auch machen, weil ihm die nach wie vor EU-feindliche FPÖ in Europa doch unangenehm wäre. (Hans Rauscher, 22.8.2017)