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Bina Bala hat im Norden von Bangladesch ein Geschäft mit Bambuskörben aufgebaut. Als Startkapital beantragte sie einen Mikrokredit.

Foto: REUTERS/Rafiqur Rahman

Wien – Der Weg Richtung Selbstständigkeit beginnt oft mit einem Besuch bei der Bank, um einen Kredit aufzunehmen. Diese Möglichkeit bleibt vielen Menschen – allen voran in sogenannten Entwicklungsländern – verwehrt. Für sie sind Mikrokredite, also Kleinstdarlehen in der Höhe von oft nur wenigen hundert Euro, häufig der einzige Weg zum Unternehmertum.

Bekannt wurde das Mikrokreditsystem durch den Wirtschaftswissenschafter Muhammad Yunus aus Bangladesch, der dafür 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Ganz so neu sind solche Kleinstkredite aber nicht, sagt Helmut Berg, der die Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit International in Österreich repräsentiert. Im deutschsprachigen Raum hätte es bereits Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreiche bedürftige Bauern und Handwerker gegeben, die auf Kleinstkredite angewiesen waren. "Damals gab es hierzulande ähnliche Voraussetzungen wie heute in Entwicklungsländern", sagt Berg. Durch Mikrokredite hätten Kreditnehmer die heute noch relevanten kleinunternehmerischen Strukturen aufgebaut.

"Im Lauf der Zeit säkularisiert"

Seither hat sich im Mikrofinanzsektor einiges getan, auch in Österreich. Zu den bekanntesten Anbietern zählt neben der Erste Bank die niederländische Oikocredit. Die Genossenschaft, die seit 1990 in Österreich agiert, hat ihren Ursprung im kirchlichen Bereich: "Wir haben uns aber im Lauf der Zeit säkularisiert", meint Berg. Von den rund 5600 österreichischen Anlegern hätten nur fünf Prozent einen kirchlichen Hintergrund, der Rest seien Privatanleger aus "allen Lebensbereichen", sagt Berg und ergänzt: "Profitorientierte Menschen legen bei uns aber sicher nicht an."

So sicher ist das gar nicht, immerhin erhalten Investoren derzeit zwei Prozent Dividende – und damit weitaus mehr als bei herkömmlichen Banken. Dennoch bleibt das Anlagekapital in Österreich mit 106 Millionen Euro überschaubar. Wieso nicht mehr Menschen bei der Genossenschaft anlegen? "Ganz einfach, es gibt keine Einlagensicherung wie etwa bei einem Sparbuch", sagt Berg.

Dennoch habe die Zahl der heimischen Investoren vor allem seit der Finanzkrise zugenommen. Diese Entwicklung würde nicht nur Oikocredit treffen, sondern den gesamten ethischen Finanzsektor: "Menschen wollen nicht mehr, dass ihr Geld in Bereichen angelegt wird, die sie nicht mittragen können, wie Waffenproduktion oder Atomenergie."

Größtenteils Frauen

Die Genossenschaft ist in 70 Ländern weltweit tätig, rund 83 Prozent der Kreditnehmer sind Frauen. Oikocredit vergibt Darlehen jedoch nicht direkt an die Unternehmer, dafür sind 600 Mikrofinanzinstitute in den jeweiligen Ländern zuständig. Durch die Kredite müssten sich Unternehmer kein Geld von "Kredithaien, die horrende Summen verlangen" – wie Berg sie nennt -, borgen.

Die Höhe der Zinsrate variiere je nach Land, heißt es bei Oikocredit. Die Darlehen werden in der jeweiligen Landeswährung und inflationsangepasst vergeben: "Ziel ist es, Menschen Kredite in einer fairen Höhe zu geben, als wären sie bei Banken ihrer Ländern Kunden mit guter Bonität", sagt Berg. Die Rückzahlquoten für die Kredite seien hoch, in den vergangenen 30 Jahren habe es eine Ausfallquote von einem Prozent gegeben.

Dass es in der Vergangenheit wiederholt Kritik an dem Mikrokreditsystem gab, kann Berg verstehen: "Es gibt genügend Mikrofinanzinstitute, die nicht den sozialen Moment in den Vordergrund stellen, sondern den ökonomischen." Oikocredit sei hingegen nicht profitorientiert, auch der zwölfköpfige Vorstand arbeite auf ehrenamtlicher Basis.

Eine erneute Abhängigkeit von Geldgebern aus Industrieländern sieht Berg durch Mikrokredite nicht gegeben. Das Geld lande nicht bei Regierungen, sondern bei Einzelpersonen: "Wenn man Geld auf Augenhöhe verborgt, sind beide Geschäftspartner." (Nora Laufer, 26.8.2017)