"Die wahren Verbrecher seid ihr – Journalisten Terroristen", stand am vergangenen Samstag im Allianz-Stadion zu lesen.

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Roman Horak ist Professor an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Rapid-Anhänger ist er auch.

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STANDARD: Zuletzt sorgte ein Fantransparent "Journalisten Terroristen" im Allianz-Stadion für Aufregung. Die Vereinigung der Sportjournalisten forderte vom Verein eine Entschuldigung. Ist der Berufsstand zu sensibel?

Horak: Subkulturen haben eine eigene Sprache. Für die Teilhabenden ist diese eindeutig und verständlich, in ihrer Pointierung und Übertreibung bietet sie für Außenstehende allerdings eine Angriffsfläche. Insofern ist die Reaktion nachvollziehbar.

STANDARD: Stoßen Sie sich als Besucher der Rapid-Spiele an der Wortwahl der organisierten Fans?

Horak: Der Vergleich war nicht besonders glücklich gewählt, vom Zeitpunkt her unklug und auch nicht besonders lustig. Die Kritik an dem, was der Journalismus in Österreich betreibt, halte ich im Kern für berechtigt. In meinem Umfeld, alles Menschen reiferen Alters, keine Déclassés oder Hooligans, wurde die Nachricht trotz der Formulierung mit einer gewissen Genugtuung wahrgenommen.

STANDARD: Warum? Was machen die Medien falsch?

Horak: Als notgedrungener Konsument sieht man, wie Medien die Wirklichkeit mitkonstituieren. Die Ereignisse im Stadion unterscheiden sich stark von der Darstellung in manchen Medien. Jede Rapid-Geschichte ist eine gute Geschichte, vor allem eine die Aufregung zeitigt. Erzählungen werden in hohem Maß skandalisiert. Dafür braucht es einen Gegenstand, und dafür ist Rapid nun mal besser geeignet als St. Pölten.

STANDARD: So argumentiert auch die Fanszene in einem offenen Brief.

Horak: Die sind ja auch nicht blöd. Die wissen, wie der Boulevardjournalismus funktioniert. Die Stellungnahme war durchaus gelungen. Es wurde mit Zitaten belegt, dass Fußball in der Vergangenheit von Medien mit Terror kombiniert wurde, nur weil irgendwer irgendwo eine Bierflasche hat fallen lassen.

STANDARD: Die Hütteldorfer Fans beklagen in dem Schreiben ihr schlechtes Image. Die Medien hätten dazu beigetragen, dass sie in der öffentlichen Meinung als "rüpelhaft" gelten. Ist dieses ständige Einnehmen der Opferrolle nicht etwas lachhaft?

Horak: Die Empfindlichkeit ist auch der sportlichen Misere geschuldet. Das macht die Kurve wehleidiger. Liest man sich aber zum Beispiel die Postings im Standard durch, erkennt man doch eine Struktur. Es ist eine witzige Mischung aus Arroganz und Herablassung der Bildungsbürger gegenüber den proletarischen Rapidlern. Das ist absurd. Die klassischen Zuschreibungen funktionieren vielleicht als tradierte Codierung, aber nicht als Beschreibung eines realen Zustandes. Austria und Rapid haben längst dasselbe Publikum.

STANDARD: Trotzdem werden die Differenzen betont. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wir gegen den Rest der Welt.

Horak: Es wäre langweilig, wenn alles wurscht wäre. Das Böse ist Salzburg, der Gegner ist seit Ewigkeiten die Austria. Was wäre der österreichische Fußball ohne das Wiener Derby? Woran würde man sich aufreiben? Der Fußball lebt von Abgrenzung.

STANDARD: Bei der Vienna oder dem Sportklub verzichtet man auf Feindbilder.

Horak: Ja, beide Vereine haben es geschafft, eine freundliche Fankultur zu etablieren. Das geht aber wohl nur dann, wenn es um nicht so viel geht. Sport und Politik leben vom Moment der Differenz. Als Grundlage dient eine andere Sicht auf die Welt. Beim Fußball ist das allerdings bizarr. Am Ende ist es ja nur ein Spiel. Wer Meister wird, ist für den Lauf der Welt irrelevant. Der Brexit ist es nicht.

STANDARD: Zurück zu Rapid: Egal was passiert, die Geschäftsführung zählt in erster Linie auf den Selbstreinigungsprozess der Fankurve. Ist das nicht Augenauswischerei?

Horak: Es ist eher ein Kontrollprozess. Die Ultras haben als Ordnungsfaktor in der Kurve dafür gesorgt, dass Rassismus nicht mehr toleriert wird. Andere Dinge sind leider nach wie vor präsent.

STANDARD: Und zwar?

Horak: Misogynie und Homophobie. Schwuler dies, schwuler das. Das nervt uns Kleinbürger auf der Seitentribüne, das erregt Zorn. Auch dieses "Tod und Hass"-Gebrüll kann ich überhaupt nicht gebrauchen. Als die Fankultur bei Rapid noch nicht durch die Ultras homogenisiert war, gab es witzigere Sprüche und Sprechchöre. Jetzt wirkt alles recht monoton.

STANDARD: Trotz aller Unstimmigkeiten wächst der Zuseherschnitt bei Rapid kontinuierlich an.

Horak: Es ist in der Tat faszinierend, dass Zigtausende ins Stadion kommen und sich das antun, in der Hoffnung es würde sich zum Besseren wenden – wohl wissend, dass das nicht so schnell passieren wird. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da konnte man für eine Studie quasi mit jedem Zuseher einzeln reden.

STANDARD: Aber was macht einen eigentlich zum Rapid-Fan? Masochismus?

Horak: Das ist in hohem Maße dem Zufall geschuldet. Ich bin es geworden, weil in den Sechzigern bei uns im Dorf im Marchfeld alle Sportklub- oder Austria-Anhänger waren. Ich wollte etwas Neues, mich ein bisschen wichtigmachen. Der Glechner Walter, der Grausam Leopold, das waren meine Leute. Eigentlich eine nicht rational begründete Entscheidung, aber ich muss damit leben – und ich tue es gerne. (Philip Bauer, 25.8.2017)