Wolfgang Brandstetter gilt als fachkundig und gutmütig.

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Wolfgang Sobotka (vorne) drohte im Jänner, das neue Regierungsprogramm nicht zu unterschreiben. Am Ende waren alle wieder an Bord, auch Wolfgang Brandstetter.

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ÖVP-Chef Sebastian Kurz machte den Justizminister auch zum Vizekanzler.

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Der Vizekanzler staunt, als wäre es sein erstes Mal in einem Gefängnis. Er reißt die Augen auf und zieht die Brauen hoch, aha, soso, er lächelt. Ein arbeitender Häftling zeigt ihm, wie er Pakete schnürt. "Toll!" Dann richtet sich Wolfgang Brandstetter an die Journalisten, die ihn bei der Führung durch die Justizanstalt Simmering begleiten: "Beschäftigung ist so wichtig. Das Schlimmste ist, wenn es keine Arbeit gibt."

Dabei nickt er, als würde er sich selbst recht geben, und schaut betroffen. Im nächsten Moment trägt er die Geschichte vor, dass sein Strafsektionschef in der Ministeriumsjukebox am liebsten den "Jailhouse Rock" von Elvis auflege. Selbst die Kritik eines Justizwachebeamten, dass vor allem im Sommer viel zu wenig Personal im Haus sei, witzelt Brandstetter weg: "Bei uns a", sagt er und lacht laut auf.

"Er schafft es, den Eindruck zu erwecken, er sei der gutmütige Großvater", sagt ein Mitarbeiter des Justizministeriums. "Aber eigentlich hat er es faustdick hinter den Ohren."

Ablösekandidat als Aufsteiger

Brandstetter ist nun seit fast vier Jahren Justizminister. Der studierte Jurist und Strafrechtsprofessor, der als Parteifreier von ÖVP-Chef Michael Spindelegger in die Regierung geholt wurde, galt immer wieder als Ablösekandidat. Doch er hielt sich.

Er überlebte Spindelegger, dessen Nachfolger Reinhold Mitterlehner, nach der Übernahme der Partei durch Sebastian Kurz geschah, was er zuvor wahrscheinlich sogar selbst für unmöglich gehalten hatte: Im Mai dieses Jahres wurde Brandstetter zum Vizekanzler ernannt.

Er könne einfach gut mit Menschen, sagen die einen. Er sei ein Opportunist und nun das "Opferlamm", weil Kurz sich nicht als Regierungsvize habe verbrauchen lassen wollen, manch andere.

Sicherheitspaket

Aktuell arbeitet "Brändi", wie ihn Freunde nennen, für den 30-jährigen ÖVP-Chef Vorschläge zur strengeren Bestrafung von Gewalttätern aus – obwohl seine große Strafrechtsreform erst im Vorjahr in Kraft trat. Die sei ein "Kompromiss" mit den Roten gewesen, sagt Brandstetter heute. Vor der Wahl könne er nun präsentieren, was er eigentlich wollte.

Auch das in Teilen der SPÖ hochumstrittene Sicherheitspaket samt Whatsapp-Überwachung soll der 59-Jährige nach Möglichkeit noch vor Oktober in trockene Tücher bringen.

Mit Kurz verbindet ihn eine beinahe väterliche Freundschaft, die lange vor der Politik begründet wurde. Kennengelernt haben sie sich im niederösterreichischen Eggenburg im Waldviertel. Brandstetter wohnt seit seiner Kindheit in der kleinen Stadtgemeinde, die Mutter des neuen Parteiobmanns kommt aus der Gegend.

Keine politischen Ambitionen

Politischer Erfinder beider war Spindelegger. Der frühere ÖVP-Chef konnte zwar keine großen Wahlerfolge einfahren, seine Personalauswahl erwies sich im Nachhinein aber als goldrichtig für die Partei. Es war 1982, als er Brandstetter das erste Mal traf. Der war Assistent von Winfried Platzgummer am Institut für Strafrecht an der Uni Wien, Spindelegger ein Student.

Er erinnert sich: "Ich habe damals eine ausgezeichnete Klausur geschrieben. Brandstetter hat mich dann gefragt, ob ich nicht Studienassistent werden möchte." Spindelegger wollte, die beiden blieben in Kontakt, sahen sich bei Treffen des Maria Plainer Kreises, eines rechtskonservativen Thinktanks, und bei Veranstaltungen der Cartellverbindung Norica.

Als Strafverteidiger machte sich Brandstetter rasch einen Namen. Ein langjähriger Kollege sagt: "Es gab normale Strafverteidiger – und Wolfgang Brandstetter." Zu seinen Kunden zählten nicht nur Größen aus dem Showbusiness, sondern auch der umstrittene frühere Botschafter Kasachstans, Rachat Alijew, Ex-Telekom-Manager Rudolf Fischer oder auch Werner Faymann in der Inseratenaffäre.

Politische Ambitionen hatte Brandstetter eigentlich nicht, versichern alle, die den Oldtimer- und Modelleisenbahn-Fan kennen, auch wenn er nie ein Geheimnis daraus machte, ein Bürgerlicher zu sein. Erst spätere Weggefährten sagen dem leutseligen Minister nach, im Laufe der Jahre doch einen gewissen Zug zur Macht entwickelt zu haben.

Loyalitätskonflikt

Anfang des Jahres soll sich Brandstetter in einem gewissen Loyalitätskonflikt befunden haben. Nach einer neuerlichen Regierungskrise im Jänner konnten sich SPÖ und ÖVP nach tagelangen Verhandlungen auf ein neues Arbeitsprogramm einigen. Kanzler Christian Kern verlangte von allen Ministern eine Unterschrift unter dem Pakt.

Innenminister Wolfgang Sobotka verweigerte seine Signatur zuerst, was neuerlich für Unruhe sorgte. Kurz soll versucht haben, auch andere zu einer Unterschriftsverweigerung zu bewegen – darunter Brandstetter. Die Intention war es, so erzählen es mehrere Schwarze, den damaligen Noch-Parteichef Mitterlehner weiter zu schwächen.

Brandstetter habe aber Mitterlehner über die Vorgänge informiert – und dann selbst bei Kern angerufen und versichert, nur Sobotka sei aufmüpfig. Schließlich haben alle Regierungsmitglieder das Papier unterzeichnet.

Fachlich unbestritten

Fachlich ist Brandstetter ziemlich unumstritten. An der Universität Wien galt er zwar als etwas eigenwillig, aber als guter Rechtswissenschafter. Als Meilensteine in seiner politischen Karriere werden von Fachkollegen sein Erwachsenenschutzgesetz und auch die Strafrechtsreform genannt.

Nicht gelungen ist ihm eine große Reform des Maßnahmenvollzugs. Auch der von ihm eingerichtete Weisungsrat, durch den Staatsanwälte unabhängiger arbeiten sollen, sei eine "halbherzige Lösung", sagen Juristen.

Wie es mit ihm weitergeht? Am Ende der Führung durch die Justizanstalt Simmering wird die Gruppe noch durch das hauseigene Museum geleitet. In einem großen Bilderrahmen sind dort alle Justizminister abgebildet. Wolfgang Brandstetter wendet sich an den Brigadier: "Viel Platz für neue Fotos ist da unten aber nicht mehr. Vielleicht sollte ich noch bleiben." Er lacht. (Katharina Mittelstaedt, Günther Oswald, 26.8.2017)