In Österreich gibt es 11 Kindergärten, die täglich nur maximal fünf Stunden geöffnet haben. Im Burgenland besuchen 97,7 Prozent der drei- bis fünfjährigen Kinder einen Kindergarten. In der Bundeshauptstadt Wien sind Kindergärten im Schnitt nur 3,1 Tage im Jahr geschlossen. In Tirol gibt es mit maximal 20 Kindern pro Gruppe die österreichweit kleinsten Betreuungsgrößen.

Foto: Getty Images / iStock / Evgeny Karandaev

Der Alltag schaut im Kindergarten häufig so aus: Zwei Kinder streiten um ein Spielzeug, ein drittes will wieder heim zu seinen Eltern, ein anderes hat den Gang zur Toilette nicht rechtzeitig geschafft, wieder andere wollen sofort etwas zu trinken, außerdem müssen die Reste der Vormittagsjause weggeräumt werden, und auch die anderen Kinder brauchen Aufmerksamkeit. Der Lärmpegel ist hoch.

Eine Pädagogin und eine Assistentin, die oft nur halbtags arbeitet, kümmern sich in Österreich um bis zu 25 Kinder. Einen bundesweit gültigen Betreuungsschlüssel gibt es nicht. Kindergärten sind Länderkompetenz.

In wenigen Tagen beginnt ein neues Kindergartenjahr. Eine Debatte findet aber nur über islamische Kindergärten statt – von Kopftüchern schon bei den Kleinsten bis hin zu fehlenden Deutschkenntnissen der Pädagogen und schlechterer Bezahlung. Eine vorgeschobene Diskussion, denn auch abseits möglicher Missstände bei bestimmten Trägervereinen läuft in den Kindergärten vieles nicht optimal. Betroffen sind Kindergartenpädagoginnen, Eltern und Kinder.

Betreuungsschlüssel und Gruppengröße

Über die Bedeutung der Kindergärten herrscht – wie bei kaum einem anderen Thema – politischer Konsens. In regelmäßigen Abständen wird von Politikern unterschiedlicher Parteien betont, wie wichtig die frühkindliche Bildung und damit auch der Kindergarten für die Gesellschaft sei.

Auch im überarbeiteten Regierungsübereinkommen wurde die Stärkung der Kinderbetreuung zur Bildungseinrichtung erneut festgeschrieben. Nur: Das notwendige Geld dafür will niemand in die Hand nehmen.

Die National Association for the Education of Young Children (NAEYC) empfiehlt maximal 20 Kinder in einer Kindergartengruppe. Einzig Tirol hat diese Gruppengröße auch rechtlich vorgeschrieben.

Auch der Betreuungsschlüssel, wie viele ausgebildete Fachkräfte und wie viele Assistenzkräfte diese Gruppe betreuen, ist in Österreich nicht einheitlich geregelt. Laut NAEYC wären zwei Fachkräfte für zehn Kinder empfehlenswert.

Die Betreuungsquote bei über Dreijährigen ist in Österreich, nicht zuletzt wegen des 2009/10 eingeführten verpflichtenden Kindergartenjahres, in allen Bundesländern hoch. Laut Statistik Austria besuchen österreichweit 93,4 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen einen Kindergarten. Spitzenreiter ist das Burgenland mit 97,7 Prozent.

Der Betreuungsschlüssel ist je nach Bundesland unterschiedlich geregelt. In den meisten Bundesländern arbeiten aber nur eine Pädagogin und eine Assistenzkraft meist im halben Stundenausmaß in einer Kindergruppe.

Umsetzung nicht möglich

Zu wenig Personal, um den Anforderungen an eine Bildungseinrichtung gerecht zu werden. "Die Forderungen der Politik sind vernünftig, aber es wird nicht bedacht, wie das alles gemacht werden soll", kritisiert Heidemarie Lex-Nalis, Sprecherin der Plattform Educare, eines Vereins zur Förderung der Elementarbildung.

In der Politik zeige man sich dann erstaunt, dass die Kindergärtnerinnen diese Forderungen nicht bejubeln. Das sei noch keine Aufwertung des Berufs, denn solange sich an der Ausbildung und an der Gruppengröße nichts ändert, sei es unmöglich diese Ideen auch umzusetzen, ergänzt sie.

"Auf den Stress war ich nicht vorbereitet", sagt eine Kindergartenpädagogin aus Wien, die anonym bleiben will. Der Lärm ist groß, Kinder sitzen nicht ruhig und warten, bis etwas passiert. In einer solchen Umgebung sei es schwierig, Projekte umzusetzen, Zeit für Eins-zu-eins-Betreuung fehlt da gänzlich.

Pilotprojekt Bildungskompass

Um Entwicklung und Lernfortschritte durchgängig zu dokumentieren, wird in Oberösterreich als Pilotprojekt der Bildungskompass bei den Dreieinhalbjährigen getestet. Fünf "Lerndispositionen" sollen von den Elementarpädagogen festgestellt werden. Fachlich und als Beobachtungsinstrument sei dieser Kompass gut, sagt Nina Hover-Reisner. Sie leitet an der FH Campus Wien das Bachelorstudium Sozialmanagement in der Elementarpädagogik.

"Das Problem ist der Einsatz in der Praxis. Das braucht ausreichende Begleitung", sagt sie. Der Bildungskompass soll dazu beitragen, den Übergang vom Kindergarten zur Schule zu verbessern. "Gerade hier muss man aufpassen, welche Informationen aus der Hand gegeben werden. Was hilft Kindern, und was läuft Gefahr, sie zu stigmatisieren?" Die Ausbildung an der Bafep, der Bildungsanstalt für Elementarpädagogik, reiche für die Beurteilung kaum aus, kritisiert sie.

Hochschulstudium für Elementarpädagogik

Die Forderung nach einem Hochschulstudium für Elementarpädagogik gibt es schon lange. Bei der Neugestaltung der Pädagogenausbildung wurde sie anfangs auch mitgedacht. Seit 2016 gilt diese neue Ausbildungsstruktur bundesweit, die Elementarpädagogik ist aber nicht dabei. Österreich ist damit das einzige Land in Europa, in dem es kein verpflichtendes Hochschulstudium für Elementarpädagogik gibt.

Durch die Bafep werden angehende Kindergartenpädagoginnen in manchen wichtigen Aspekten gut ausgebildet, sie können sicher einen spannenden Alltag für Kinder gestalten, sagt Hover-Reisner. Was die Ausbildung nicht bietet, ist ein theoriegestütztes Wissen über die unterschiedlichen emotionalen, sozialen und sprachlichen Entwicklungen von Kindern.

Um den Erwartungen der Eltern an den Kindergarten gerecht zu werden, braucht es pädagogisches Personal, das diagnostizieren kann, um gezielt fördern zu können, ergänzt Lex-Nalis. In den bestehenden Rahmenbedingungen sei das nicht möglich. Aus Selbstschutz werde dann nur dorthin geschaut, wo es funktioniere.

"Wenn uns ein Kind auffällt, das in seiner Entwicklung verzögert ist, haben wir auch kaum jemanden, den man fragen könnte. Und Kindergartenpädagoginnen sind keine Ergotherapeutinnen oder Logotherapeutinnen", ergänzt die Wiener Kindergartenpädagogin.

Qualifiziertes Unterstützungspersonal ist Mangelware.

Unterschiedliche Karrieremöglichkeiten

Dass dieser Rahmen für Kindergartenpädagoginnen nicht optimal ist, zeigt sich auch darin, dass nur wenige der Bafep-Absolventen diesen Beruf überhaupt ergreifen. Diejenigen, die sich dafür entscheiden, steigen häufig nach kurzer Zeit wieder aus. "Der Beruf wird von 45- bis 55-Jährigen getragen, wer von den Bafep-Absolventen studiert, kommt nicht zurück. Es gibt auch keine Stellen für sie", kritisiert Lex-Nalis.

Es sei ein körperlich und akustisch anstrengender Beruf, der bis zur Pension nur schwer ausübbar sei, unterschiedliche Karrieremöglichkeiten wären daher dringend notwendig, fordert Hover-Reisner. Mit einer tertiären Ausbildung, ähnlich der von Volksschullehrern, wäre ein erster Schritt getan. Mit zusätzlichen Modulen könnte beispielsweise an Volksschulen gewechselt werden.

Und Kindergartenpädagogen und Volksschullehrer würden sich auch auf Augenhöhe begegnen können. "Denn der Habitus von Lehrern mit einem nach außen getragenen Selbstbewusstsein macht es für Kindergartenpädagoginnen oft schwierig", sagt Hover-Reisner.

Selbstbewussteres Auftreten

In eine ähnliche Kerbe schlägt Raphaela Keller, Vorsitzende des Österreichischen Dachverbands der Kindergarten- und Hortpädagoginnen (ÖDKH), und fordert ein selbstbewussteres Auftreten der Kindergartenpädagoginnen, das würde auch das Bild der Elementarpädagoginnen in der Öffentlichkeit stärken: "Sie sind kompetent, nicht nur gegenüber den Kindern, das müssen sie auch gegenüber den Erwachsenen zeigen."

Probleme werden unter den Pädagoginnen oft zwischen Tür und Angel besprochen, Zeit für Supervision, Reflexion oder um die Praxisarbeit nachbereiten zu können, bleibt kaum. Rund fünf Stunden Vorbereitungszeit ist bei vollzeitiger Beschäftigung einkalkuliert. Viel zu wenig für das, was von ihnen gefordert und erwartet wird.

"Kindergartenpädagogen sind Lückenbüßer, die Sensationelles leisten, aber am realen Kindergartenalltag scheitern. In diesem Setting tragen sie eher Sorge, die Kinder unverletzt durch den Tag zu bringen. Sie haben kaum Zeit, sich um einzelne Kinder zu kümmern", sagt Daniel Landau, Bildungssprecher der Wiener Grünen und über die Parteigrenzen hinweg engagierter Bildungsaktivist.

Neben mehr Vorbereitungszeit würde es auch mehr Zeit für die Zusammenarbeit mit den Eltern brauchen, sagt er.

Koexistenz von Eltern und Kindergarten

Die skandinavischen Länder seien ein Vorbild, wie die Koexistenz von Eltern und Kindergarten als Erzieher aussehen könne, ohne mehr Zeit werde es aber nicht funktionieren, ist er überzeugt. Landau vermisst vor allem die lautstarke Forderung der Eltern nach der besten Bildung für ihr Kind bereits im Kindergarten. Der Wunsch allein reicht nicht aus. Der entscheidende Hebel für die Aufwertung der elementarpädagogischen Einrichtungen ist für Landau der finanzielle.

Dazu gehört auch das Gehalt. Kindergärten sind Sache der Länder und Gemeinden, sie regeln Öffnungszeiten, Schließtage, Gruppengröße und auch die Bezahlung. Zwischen 1920 und 2130 Euro brutto bekommen Berufseinsteiger laut AMS-Gehaltskompass. Diese Gehaltsunterschiede führen dann auch dazu, dass beispielsweise Wiener Kindergärtnerinnen nach Niederösterreich abwandern. Neben etwas mehr Geld gibt es dort auch mehr Schließtage in den Kindergärten.

Durchschnittlich hat der Kindergarten in Österreich 27,8 Tage geschlossen, Spitzenreiter ist Tirol mit 44,4 Schließtagen, die wenigsten gibt es mit drei in Wien. "Gerade auf dem Land wird der Kindergarten noch häufig als familienergänzende Einrichtung wie vor 150 Jahren gesehen", sagt Lex-Nalis. Ganztägige Betreuung sei dementsprechend nicht so wichtig. Doch jeder Schließtag stellt berufstätige Eltern von Kindergartenkindern vor Herausforderungen.

Beste Bildung

Die Ausbildung für Pädagogen, die unter Sechsjährige betreuen, muss sehr gut sein, fordert auch Lex-Nalis. "In diesem Alter wird am meisten gelernt. Es ist aber auch die Phase, in der am meisten verabsäumt wird. Kinder mit schwierigen Startbedingungen bleiben auf der Strecke, Kinder aus bildungsfernen Schichten werden auch im Kindergarten nicht gefördert. Das geht sich beim besten Willen nicht aus", sagt sie.

Ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr werde daher auch nicht den erwarteten Erfolg bringen, ist Lex-Nalis überzeugt, weil schon das erste nicht gut funktioniere.

Eine Studie der Bildungsforscherin Barbara Herzog-Punzenberger von der Universität Linz hat gezeigt, dass in Österreich diejenigen am meisten von einem längeren Kindergartenbesuch profitieren, die auch zu Hause gefördert werden.

Offene Baustelle

Was macht die Politik? Bis jetzt gibt es noch keine bundesweit einheitlichen pädagogischen Qualitätskriterien. In der mit Jahresende befristeten 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern wurde auch vereinbart, dass solche bis 2016 ausgearbeitet werden sollten. Die Verhandlungen blieben aber ohne Ergebnis, heißt es dazu aus dem Familienministerium.

Im Rahmen der aktuellen Verhandlungen über den aufgabenorientierten Finanzausgleich sollen nun diese Kriterien ausgearbeitet werden. Erstmals soll bei der elementaren Kinderbetreuung diese Form des Finanzausgleichs angewendet werden. Dabei sollen nicht nur die Einwohnerzahlen der Gemeinden berücksichtigt, sondern auch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen auf der Ausgabenseite ausgeglichen werden.

Kriterien dafür müssen im Zuge der Verhandlungen noch fixiert werden. Viel Zeit dafür bleibt nicht mehr. Bis September soll der Finanzausgleich stehen. Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) hat bereits anklingen lassen, dass auch die Verlängerung der bestehenden 15a-Vereinbarung eine Option sei. Einheitliche pädagogische Qualitätskriterien bleiben eine offene Baustelle. (Gudrun Ostermann, 26.8.2017)