Daniel Barenboim mit den Wiener Philharmonikern in Salzburg: Doppelbödigkeit vom Feinsten.

Foto: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

Salzburg – Ob die mit Walzer, Ländler oder Zapfenstreich raffiniert getarnten Abgründe der dräuenden Moderne den Instrumenten jemals verführerischer abgeschmeichelt wurden? Kein anderes Orchester hat diesen unvergleichlichen Sound drauf, aus dem sich alles heraushören lässt, was das Klischee hineininterpretiert ins goldene Wienerherz: Todessehnsucht, Schmäh, Weinseligkeit. Das letzte Konzert der Wiener Philharmoniker diesen Festspielsommer an der Salzach war ein Triumph des Wienerischen.

Der die Partituren gerne mit Samthandschuhen anfassende Daniel Barenboim berichtet mit seiner Mahler-Interpretation ohrenschmeichelnd und zugleich erstaunlich unverblümt: "Alles ist hin." Wie weiland der liebe Augustin. Und tanzt auch noch dazu. Nur zu gern folgte man diesem Narrenzug in Regimentsstärke hinauf an den Rand des Vulkans.

Die widersprüchliche Symphonie Nr. 7 e-Moll ist scheinbar wieder viel klassischer und gefälliger als die radikale "Sechste" auch wenn die "Siebte" mit ihren fünf Sätzen – und zwei "Nachtmusiken" – formal freier gebaut ist. Doch auch dieses Bollwerk tonsetzerischer Harmonie hat zahllose Ecken und Kanten, Untiefen und Abgründe. Barenboim und die Philharmoniker in Bestform haben es mit Energie, Verve und erstaunlich viel Ironie ausgelotet bis in faszinierendste Details – immer mit vorwärtsdrängendem Drive.

Der Monumentalität in die Parade

Allein der langsame erste Satz mit seinem dramatischen Bläsermotiv: Wie oft fährt da ein klingender Spielmannszug oder gar eine frivole Tanzkapelle der Monumentalität in die Parade. Bis die Stimmung sich wieder eintrübt, quasi die Restauration sich mit – leider harmonisch sehr verdächtig im Nirgendwo schwebenden – Fanfaren zurückmeldet und das Spiel von vorne beginnt. Alle diese unzähligen Wendungen und Kehr-Wendungen haben Barenboim und die Philharmoniker mit stupender Leichtigkeit hingelegt.

Die betörenden Bläser-Klangfarben in den beiden "Nachtmusiken". Die, bei aller beschworenen Schönheit, geradezu Hohn sprechend "gespuckten" Fagottmotive oder "hingeschnalzten" Kontrabass-Figuren im Scherzo. Das bizarre Umtatata der Hörner, das so gar keine greifbare Melodie begleitet. Die beinahe Thriller-taugliche gespannte Stille in der zweiten Nachtmusik – all das war enorm facettenreich gestaltet, oft bizarr, ja immer wieder gar beängstigend.

Nicht einmal der finale Triumph wollte sich in dieser Lesart ganz geradlinig aufbauen lassen: Mit scheinbar überhasteten Mini-Beschleunigungen und Bremsmanövern ließ Barenboim die Restaurationsbemühungen fiebrig und wahnhaft erscheinen. Doppelbödigkeit vom Feinsten. (klaba, 27.8.2017)