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Die Wirtschaft brauche beiderseits des Kanals "so bald wie möglich maximale Gewissheit", sagte Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer.

Foto: Stefan Rousseau/PA via AP

Rechtzeitig zur jüngsten Brexit-Verhandlungsrunde in Brüssel hat die Labour-Party ihre bisher unklare Linie festgelegt. Großbritannien soll während einer bis zu vierjährigen Übergangsphase nach dem EU-Austritt weiterhin Mitglied von Binnenmarkt und Zollunion bleiben. Damit geht die Arbeiterpartei auf frontalen Oppositionskurs zu den Vorstellungen der konservativen Regierung unter Premierministerin Theresa May. Im Interesse der Arbeitnehmer sowie der intensiven Handelsbeziehungen brauche die Wirtschaft beiderseits des Kanals "so bald wie möglich maximale Gewissheit", argumentiert Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer.

In einem Artikel für die Sonntagszeitung "Observer" geht der Jurist hart mit der Regierung ins Gericht. Die Arbeitspapiere, welche Brexit-Minister David Davis in den vergangenen vierzehn Tagen vorgelegt hatte, bezeichnete Starmer als "fad und unverbindlich"; insbesondere die Vorschläge zur künftigen Zollzusammenarbeit seien "wirklichkeitsfremd und unerreichbar". Dadurch sei deutlich geworden: "Die Regierung ist dazu bereit, Jobs und die Wirtschaft aufs Spiel zu setzen."

Kompromissbereite Kräfte

Unter dem Druck der EU-Feinde hat Mays Regierung monatelang offengelassen, ob sie nach dem Ende März 2019 bevorstehenden EU-Austritt überhaupt an Übergangslösungen interessiert ist, wie sie Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften seit dem Volksentscheid fordern. Nach der Unterhauswahl, bei der die Tories ihre Mandatsmehrheit einbüßten, schienen sich die kompromissbereiten Kräfte, angeführt von Finanzminister Philip Hammond, durchzusetzen. Allerdings halten auch diese an Maximalforderungen fest. So betonte Hammond kürzlich in einem gemeinsamen Artikel mit Außenhandelsminister Liam Fox, einem EU-Hasser, die Insel werde mit dem EU-Austritt auch Binnenmarkt und Zollunion verlassen ("harter Brexit"). Hingegen sieht Davis' Papier eine weitere Mitgliedschaft in der Zollunion vor; gleichzeitig solle Fox' Ministerium aber bereits neue Freihandelsverträge mit Drittländern ausarbeiten dürfen.

Von britischen Medien auf die Widersprüchlichkeit solcher Ideen angesprochen teilte Minister Davis mit, zu Verhandlungen gehöre nun einmal "konstruktive Zweideutigkeit". Genau davon will Labour nach Starmers Angaben nichts wissen. Das Land brauche jetzt eine glaubwürdige Lösung für eines der wichtigsten Probleme, die der Brexit mit sich bringt. Die Zugehörigkeit zu Binnenmarkt und Zollunion solle "so kurz wie möglich und so lang wie nötig" andauern: "Es darf kein nie endendes Fegefeuer sein." Damit kommt Starmer wohl seinem Vorsitzenden Jeremy Corbyn, einem eingefleischten EU-Skeptiker, entgegen.

Vorbild Norwegen

Hinter vorgehaltener Hand deuten Labour-Funktionäre aber an, dass sie sich allenfalls auch eine dauerhafte Mitgliedschaft im Binnenmarkt vorstellen könnten, wie sie beispielsweise Norwegen genießt. Dazu müssten die EU-Partner der Insel aber eine gewisse Einschränkung der Personenfreizügigkeit erlauben. Mit derartigen Ideen war im Vorfeld des Referendums allerdings der frühere Premierminister David Cameron gescheitert. Jüngste Migrationszahlen sprechen ohnehin dafür, dass die Insel für viele Kontinentaleuropäer an Attraktivität verloren hat.

Von der Regierung gab es am verlängerten Wochenende keine Stellungnahme zu den Labour-Vorschlägen. Hingegen dementierte eine Sprecherin der Downing Street einen Artikel des "Sunday Mirror" als "Höhepunkt der Saure-Gurken-Zeit". Dem Labour-nahen Blatt zufolge plant Premierministerin May ihren Rücktritt für August 2019. Zwar gilt in London als unumstritten, dass die Tories nicht mit ihrer glücklosen Vorsitzenden in die spätestens 2022 fällige Unterhauswahl gehen wollen. Ein vorzeitiger Abschiedstermin würde die von der Wählerschaft stark gerupfte May aber endgültig zur lahmen Ente machen. (Sebastian Borger aus London, 27.8.2017)