Die grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek ist nicht die erste, die im Interview mit dem STANDARD eine kilometerabhängige Maut nach italienischem Vorbild auch auf Österreichs Autobahnen fordert. Schon die EU-Kommissarin Violeta Bulc forderte in ihrem Ende Mai präsentierten "Mobilitätspaket" die Umstellung aller europäischen Mautsysteme auf ein kilometerbezogenes Mautsystem innerhalb der nächsten zehn Jahre – der STANDARD berichtete. Sowohl für Pkw, als auch für Lkw.

Ende der Autobahnvignette

Diese Pläne würden das Ende der Autobahnvignette bedeuten, wie wir sie heute kennen. In Zukunft müsste dann auch jeder Pkw eine eigene Go-Box installieren, oder die Asfinag errichtet an jeder Autobahn- und Schnellstraßenausfahrt eigene Mautstationen nach dem Vorbild unserer Nachbarländer.

Aus Sicht des Klimaschutzes und für mehr Kostenwahrheit auf Österreichs Schnellstraßennetz mag die Idee der Kilometermaut auf den ersten Blick durchdacht erscheinen: Gezahlt werden soll nach tatsächlichem Verbrauch. Jene, die zum Beispiel mit ihren Dienstwagen täglich auf unseren Autobahnen herumkurven sollen mehr zahlen als jene, die das Autobahnnetz nur ab und zu nutzen. Implizit wird damit wohl auch eine Erhöhung der Autobahntarife für Vielfahrer gefordert, um mehr (negative) Anreize für den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zu schaffen.

Grünen-Spitzenkandidatin Lunacek fordert die Kilometermaut in Österreich.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Falsche Anreize

Die Logik hinter einer solchen Denkweise entspringt aber einer fundamentalistischen Weltsicht, nach der das Autofahren prinzipiell schlecht und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel prinzipiell etwas Gutes sei. Ohne Rücksicht auf empirische Daten wird davon ausgegangen, dass eine teurere Kilometermaut die Autofahrer vermehrt zum Umstieg auf den Zug bewegen würde. Unberücksichtigt bleiben damit auch umweltfreundlichere Formen des Individualverkehrs wie E-Autos. Eine Kilometermaut, die mit dem Argument des Klimaschutzes eingeführt wird, trifft jedoch erdölfressende Verbrennungsmotoren genauso wie umweltfreundliche Batterie- und in Zukunft auch Wasserstoffautos. Wo bleiben da die Anreize, auf E-Autos umzusteigen?

Verlagerungseffekte vorprogrammiert

In Wahrheit ist durch die Einführung einer Kilometermaut nicht so sehr eine Reduktion des Individualverkehrs, sondern eine Verlagerung desselben auf das sekundäre Straßennetz zu erwarten. Am Beispiel Italien sehen wir sehr gut, was das für Österreich bedeuten würde: Weniger Verkehr auf den Autobahnen, mehr Verkehr unmittelbar in den Dörfern, Städten, auf Bundes- und Landesstraßen. Damit einher geht ein Mehrverbrauch an Treibstoff, sowie mehr Schadstoff- sowie Lärmbelastung der Stadtbewohner sowie generell der Anrainer des sekundären Straßennetzes. Denn während aufgrund der gesetzlichen Anforderungen heute schon fast jeder Meter unseres Autobahnnetzes mit Lärmschutzwänden versehen ist, und neue Autobahnen, wo immer möglich abseits von Siedlungsgebieten errichtet werden, kann dasselbe von Bundes- und Landesstrassen nicht behauptet werden.

Die Bevölkerung wäre die Leidtragende dieser Verlagerungseffekte. Denn Lärm und Abgase machen erwiesenermaßen krank, und die höheren Gesundheits- und Sozialkosten als Folge der Einführung einer Kilometermaut müsste wiederum die öffentliche Hand mit Steuermitteln tragen.

Autobahnvignette ein guter Kompromiss

Die Vignette muss in der Regel nur einmal pro Jahr bezahlt werden, und berechtigt damit ein ganzes Jahr zur Benutzung des Schnellstraßennetzes. In anderen Worten: Während es bei der Vignette zwar einmal im Jahr einen Obolus für den Vignettenkauf zu entrichten gilt, gibt es nach dieser Einmal-Hürde keine negativen Anreize für die Benützung des hochrangigen Straßennetzes mehr. Bei der Kilometermaut wird im Gegenteil jedes Mal wieder ein negativer Anreiz in Form von Gebühren für die Benützung von Autobahnen und Schnellstraßen geschaffen, was in Summe zu einer deutlichen Verkehrsverlagerung auf das sekundäre Straßennetz führt. Die Vignette ist deshalb ein guter Kompromiss aus Vergebührung eines Teils des Straßennetzes, ohne übermäßige Nebenwirkungen in Form von Verlagerungseffekten in Kauf nehmen zu müssen.

Straßenabnutzung durch Pkw rechnerisch vernachlässigbar

Auch das Argument der Kostenwahrheit zielt bei näherer Betrachtung ins Leere. Denn rechnerisch bedarf es rund 100.000 Pkw, um eine Straße genauso abzunutzen beziehungsweise zu schädigen, wie ein einziger (sic!) vollbeladener Lkw. In Wahrheit kann (und wird) die Abnutzung des Straßennetzes durch Pkw bei der Straßenplanung praktisch vollständig vernachlässigt. Im Vergleich zur Lkw-Maut zahlen die allermeisten Pkw-Fahrer bereits heute für ihre Vignette deutlich mehr, als sie an Schäden und Abnutzung auf unserem hochrangigen Straßennetz verursachen.

CO2-Steuer und Anpassung der EU-Wegekostenrichtlinie notwendig

Der richtige Weg für mehr Klimaschutz und Kostenwahrheit in Bezug auf den Individualverkehr sowie die daraus entstehenden CO2-Emissionen, führt einzig über eine Anpassung der Mineralölsteuer bzw. die Einführung einer neuen CO2-Steuer. Alles andere ist Produkt einer die Tatsachen verkennenden, dogmatischen Politik- und Weltsicht, für die die österreichische Bevölkerung den Preis zahlen müsste.

Lunacek wäre gut beraten, nicht der EU-Kommission nach dem Mund zu reden und sich mit dubiosen Argumenten für die Einführung einer Kilometermaut in Österreich stark zu machen, sondern stattdessen die wahren Probleme im österreichischen Mautsystem aufzugreifen. Und die liegen nicht bei den Pkw-Fahrern, sondern beim Lkw-Transitverkehr. Der Schweiz ist es bereits vor vielen Jahren erfolgreich gelungen, den Transitverkehr durch das Land auf die Schiene – beziehungsweise die Nachbarländer – zu verlagern. Notwendig hierfür waren Mautgebühren für den Schwerverkehr, die auch die dadurch verursachten schädlichen Umwelt- und Gesundheitsfolgen auf die Bevölkerung berücksichtigten. In Österreich jedoch scheitert die vollständige Einberechnung aller durch den Schwerverkehr verursachten externen Kosten an den rigiden Bestimmungen der EU Wegekostenrichtlinie. Das wahre Problem liegt  in der europäischen Gesetzgebung. (Michael Radhuber, 29.8.2017)

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