man schuof in zeiner lîpnar
vleisch und krût, gerstbrîn;
ân wiltpræt solden sie sîn:
zem vasttag hanf, lins unde bôn;
visch und öl sie liezen schôn
die herren ezzen, daz war sit.
nu ezzent sie den herren mit
swaz man guotes vinden mac.
daz ist dem land ein schûerslac.

                 – Seifried Helbling (Karajan, v. 880-888)

Seifried Helbling, ein niederösterreichischer Adliger, greift hier um die Mitte des 13. Jahrhunderts die Bauern und ihr Streben nach "adeligem Essen" massiv an. Fleisch und Kraut und Gerstenbrei waren also traditionelle Bauernspeisen und nicht Wildbret, Fisch und Öl – sehr konservativ, sehr auf die Vorrechte des eigenen adeligen Standes pochend – aber ungemein zeitgenössisch. Die historische Kulinarik zeichnet ein sehr deutliches Bild davon, wie streng hierarchisch geordnet die Lebenswelt des Mittelalters war und auch wie nahezu vollkommen unüberwindlich die gesellschaftliche Schranke zwischen Adeligen und Nichtadeligen war.

Essen als Repräsentation von Macht und Ansehen

Die Texte, die uns etwas zu den Ernährungsgewohnheiten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit berichten – Kochrezeptsammlungen genauso wie Wirtschaftsbücher oder erzählende Texte –, stammen zu einem sehr großen Teil aus dem Umfeld des Adels, der hochadeligen weltlichen und geistlichen Höfe. Das prägt unsere Wahrnehmung.

Ein "Hof" war das Zentrum der "Macht" – ein Ort, aber gleichzeitig auch eine Gruppe von Menschen, die diese Macht repräsentierten oder mit ihr in unmittelbarer Verbindung standen – kurz: der Hochadelige und seine Entourage: weltliche und geistliche Adelige, die Elite des Landes.

Da ging es "höfisch" zu, da waren die meisten Handlungen aufgeladen mit symbolischem Wert – wer wen zuerst zu grüßen hatte, wer wem den Vortritt zu lassen hatte. Hierarchie spielte in dieser höfischen Welt eine überaus große Rolle. Ein wichtiger Bestandteil dieser höfischen Welt war das höfische Mahl – noch dazu, wenn Gäste anwesend waren. Dann galt es, das Essen zu einem Akt der Repräsentation von Macht und Ansehen zu gestalten. Dann galt es, das Essen zu einem Fest werden zu lassen, zu beeindrucken, zu überraschen und zu unterhalten.

Fisch | Essig | Honig | Pfeffer, Saubohnen und Kichererbsen, Speckchip
Foto: KuliMa

Die Basis der mittelalterlichen Ernährung sind für alle Gesellschaftsschichten Getreideprodukte – in Form von Brei und/oder Brot. Aber auch da spielt das soziale Ranking natürlich eine Rolle: Nur der vermögende Adel und später das reiche Patriziat der Städte konnte sich das "schöne" Mehl, also das weiße Auszugsmehl aus Weizen, leisten, das zur Herstellung der feinen weißen Brotsorten notwendig war.

Deftig, regional, saisonal

Natürlich geht es an einer höfischen Tafel auch deftig zu. Denn in der hochadeligen Elitenküche galten natürlich auch die Grundgesetze der mittelalterlichen Ernährung: Es wurde ganz selbstverständlich regional und saisonal gekocht. Fiel dabei etwas aus dem Rahmen – stammten Zutaten aus fernen Ländern, waren sie über lange Wege importiert und dementsprechend teuer. Dann war der Einsatz solcher Ingredienzien – beispielsweise der Gewürze aus dem nahen und fernen Orient – nicht zuletzt Markierung der ökonomischen Möglichkeiten des Gastgebers und Teil der Repräsentationsaufgabe eines höfischen Mahles.

Aber zurück zur Regionalität und Saisonalität der historischen Küche: Dazu stellt sich noch ein weiteres Prinzip, das heute durchaus wieder in den Blick rückt – die Nachhaltigkeit in Form der möglichst vollständigen Verwertung nach dem heute wieder gut bekannten Motto "from nose to tail". Würste eigneten sich hier sehr gut – sie waren (und sind) eine beliebte Form, das Blut des Schlachtviehs zu verarbeiten, zum Beispiel in Form von Blutwurst.

Fischwurst | Blutwurst, Knusprige Kutteln, Kraut und Rüben
Foto: KuliMa

Fischwurst und Gemüsebrei

Fischwurst ist uns heute eher fremd, in den historischen Quellen haben wir aber etliche Rezepte für diese Art ein durchaus teures, der gehobenen Gesellschaft vorbehaltenes Lebensmittel zu verarbeiten. Fischwürste und andere Fischgerichte spielten in der historischen Küche eine große Rolle, weil die religiösen Fastenvorschriften das Verzehren von Fleisch vierfüßiger Tiere untersagten. An Fastentagen – und das waren bis in die Neuzeit im katholischen Umfeld bis zu 150 Tage im Jahr – ersetzte man in der höfischen Küche das Fleisch teilweise durch Fisch, zumal das Fischrecht wie das Jagdrecht Adelsprivileg war. Den niederen Ständen blieben die Getreidebreie und Gemüsezubereitungen.

Diese Gemüsebreie spielten aber auch in der höfischen Küche eine nicht zu unterschätzende Rolle – als zuegemues (bedeutet so viel wie 'Zuspeise', 'Beilage'). Kraut war in unseren Breiten sehr beliebt, nicht zuletzt, weil es in gesäuerter Form gut haltbar gemacht werden konnte. Schon Seifried Helbling weist das Kraut und die Rüben den Bauern zu. Beides war am gehobenen Tisch nicht hoch angesehen, aber offenbar unverzichtbar: Paolo Santonino, der Sekretär des Patriarchen von Aquileia, bereist mit einer Kleriker-Delegation in den 80er-Jahren des 15. Jahrhunderts Kärnten und berichtet ausführlich von den Bewirtungen, die ihnen auf den diversen Adelssitzen zuteil wurden. Auf Burg Goldenstein (bei Dellach im Gailtal) trug sich nach Santoninos launigem Bericht Folgendes zu:

… Der Bischof selbst und seine Begleiter glaubten, dass nach diesen vielen Gängen das Essen beendet wäre, und schon hatten wir uns an den Gastgeber gewendet, um uns für die große Ehre und den ausgesuchten und üppigen Aufwand vielmals zu bedanken, da gebot der Gastgeber mit der Hand Schweigen. Und, siehe da, sofort brachte einer von den Dienern eine breite Schüssel, sie auf erhobenen Händen tragend, mit Kraut darauf und einem Stück Speck. Von dem enthielt sich Santonino, weil es für seinen schwachen und wenig aufnahmefähigen Magen zu schwer war, und, um die Wahrheit zu gestehen, bei diesem Gericht schienen fast alle dasselbe Magenleiden zu haben. Nichtsdestoweniger entfachte den durch das aufgetischte Kraut verlorenen Appetit die Ankunft von kleinen mit Honig übergossenen Krapfen ... (Egger, S. 18-19)

Gefüllter Fasan | Rehpfeffer, Specklinsen, Karotten- und Erbsenpüree, Schwallenbergs Sauce
Marco Reif

Die wahre "Herrenspeise" ist neben den Fischen natürlich das Wild – zum Beispiel Wildgeflügel oder Rotwild. Das Jagdrecht war ja Herrenrecht, in vielen Erzähltexten des Mittelalters, wie zum Beispiel in den höfischen Romanen eines Hartmann von Aue oder eines Wolfram von Eschenbach, spielt die Jagd als Adelsprivileg eine große Rolle. Dennoch zeigen Ausgrabungen von Mittelalterarchäologen einen etwas irritierenden Befund: In den Abfallgruben der Herrensitze kommen Wildknochen viel weniger häufig vor als erwartet. Dort dominieren Geflügel- und Schweineknochen. Der hauptsächlich vom selbsterlegten Wild lebende Ritter ist also ein Mythos? Es kann natürlich auch sein, dass die Vorgehensweise, das Wild an Ort und Stelle im Wald aufzubrechen (und zu zerlegen?), dazu beigetragen hat, den archäologischen Befund zu "verrücken".

Höfisches Fest in Graz

Am 16. August  trafen sich 120 Gäste im Rahmen des Grazer Food Festivals in der Aula der alten Universität Graz zu einem mittelalterlichen Adelsmahl. Das Programmkonzept des Abends und die Speisen, die serviert wurden, hatten historische Vorlagen: Das Team um Küchenchef Wolfgang Elder bekam einen Crashkurs zur mittelalterlichen Küche und mehr als 50 historische Rezeptvorschläge, aus denen die einzelnen Speisen des Abends ausgesucht, entwickelt und kombiniert wurden.

Helmut W. Klug

Der Abend wurde – wie höfische Feste auch – moderiert, nur dass die Gäste eine Einführung in die mittelalterliche Kulinarik bekamen, die sich inhaltlich kommentierend rund um die servierten Speisen bewegte, während im Hintergund historische Instrumente das höfische Fest begleiteten. (Karin Kranich, Helmut W. Klug, 4.9.2017)

Literatur

  • Das Itinerar des Paolo Santonino. Ein kulinarhistorisches Dokument. Hrsg. v. Helmut W. Klug in Zusammenarbeit mit Martina Bürgermeister und den Studierenden des Proseminars "Advanced IT".
  • Egger, Rudolf: Die Reisetagebücher des Paolo Santonino. Übersetzung aus dem Lateinischen. Klagenfurt: Kleinmeyer 1947.
  • Karajan, Theodor Georg von: Seifried Helbling. In: Zeitschrift für deutsches Alterthum 4 (1844), S. 1-284.
  • Mahl und Repräsentation. Der Kult ums Essen. Beiträge des internationalen Symposiums in Salzburg. 29. April bis 1. Mai 1999. Hrsg. v. Lothar Kolmer, Christian Rohr. 2., durchgesehene und um ein Register ergänzte Auflage. Paderborn [u.a.]: Schöningh 2002.
  • Mensch und Umwelt im Mittelalter. Hrsg. v. Bernd Herrmann. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl. 1989. (= Fischer-Taschenbücher. 4192.)
  • Mittelalter in der Küche - Fischwürste (Youtube)

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