Künftig könnte die routinemäßige Blutdruckmessung mit einer Pulswellenanalyse kombiniert werden. Studien haben gezeigt, dass damit präzisere Diagnosen über den Zustand der Blutgefäße erstellt werden können.

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Wien – In Österreich leidet ein Drittel der Bevölkerung an Hypertonie. Bluthochdruck oder Hypertonie ist die Ursache für eine Vielzahl von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bewegungsmangel, Stress und Nahrung im Überfluss sorgen dafür, dass sich diverse Stoffe wie Cholesterin an den Gefäßinnenwänden anlagern und zum Gefäßverschluss führen. Oft bleibt Hypertonie unerkannt oder wird unzureichend therapiert, weswegen sie die Haupttodesursache in westlichen Industrieländern ist. Eine der gängigen Methoden zur Abklärung kardiovaskulärer Erkrankungen ist das Blutdruckmessen. Eine Pulswellenanalyse ist jedoch präziser.

Im Ruhezustand liegt der Blutdruck eines gesunden Erwachsenen bei einem Wert von 120/80. Jedoch variiert er tagesabhängig, was die Auskunft über eine chronische Erhöhung des Blutdrucks erschwert. Ein entscheidender Faktor in der Einschätzung des Gefäßsystems ist die Pulswellengeschwindigkeit (PWV).

Fragliche Werte

Das verzweigte Gefäßsystem transportiert Blut von der Pumpe – dem Herzen – bis zu den kleinsten Äderchen. Dabei wird das Blut an den Gefäßwänden reflektiert: Je starrer ein Gefäß, desto schneller werden die Pulswellen zurückgeworfen, und die PWV steigt an. Das bedingt in der Folge die Erhöhung des Blutdrucks. Die Europäischen Gesellschaften für Hypertonie (ESH) und Kardiologie (ESC) empfehlen in ihren Richtlinien einen einheitlichen PWV-Grenzwert von zehn Meter pro Sekunde (m/s) für Männer und Frauen.

Dieser Wert wird nun hinterfragt: Das vom Verkehrsministerium geförderte Forschungsprojekt Femcor des Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien hat von September 2015 bis August 2017 Pulswellen von 342 Frauen und 618 Männern mit Verdacht auf koronare Herzkrankheit untersucht. Das Durchschnittsalter lag bei 61 Jahren. Für diese Hochrisikokohorte manifestierte sich ein organschädigender Grenzwert von 9,6 m/s für Frauen und 8,5 m/s für Männer.

Biomarker für Bluthochdruck

"Aus der Literatur sind sehr viele geschlechtsspezifische und altersabhängige Unterschiede bekannt. Wir haben sie im Projekt dezidiert untersucht", sagt Christopher Mayer, technischer Mathematiker und Projektmanager am AIT. "Ziel des Projekts war es, genderabhängige Biomarker zu untersuchen und eine individualisierte Therapie zu ermöglichen." Seit mehr als zehn Jahren entwickelt das AIT Algorithmen und mathematische Modelle zur oszillatorischen Pulswellenanalyse, die weltweit in Blutdruckmessgeräten Verwendung finden.

Derzeit messen Kardiologen und Internisten die Pulswellen mittels Applanationstonometer am Handgelenk. Zukünftig könnten Geräte mit Oberarmmanschette die Pulswellenanalyse breitentauglich machen. "Bei der Pulswellenanalyse wird im Vergleich zur Blutdruckmessung die Manschette am Oberarm nicht zu eng aufgepumpt, die Blutdruckkurven einige Sekunden aufgezeichnet und berechnet. Wir rechnen aus den peripheren Kurven am Oberarm zurück auf die zentrale Kurve der Aorta am Herzen, wo der Herzinfarkt stattfinden würde. Überprüft werden die Daten invasiv", erklärt Mayer.

"Mit Aufnahme der Kontrolle der Pulswellengeschwindigkeit in die Untersuchungsstandards wäre eine präzisere Diagnostik möglich. Schließlich ist es ein Maß dafür, dass mit den Gefäßen etwas nicht stimmt", bestätigt Thomas Weber, Kardiologe am Klinikum Wels-Grieskirchen und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hypertonie. Er ergänzt: "Zwar ist die Messung der Pulswellengeschwindigkeit in Richtlinien empfohlen, wird aber kaum gemacht."

Zusätzliche Faktoren

Weber war bei einem Screeningprojekt für erhöhten Blutdruck beteiligt. 10.000 Freiwilligen wurde in Apotheken der Blutdruck und die PWV gemessen und das Ergebnis als Gefäßalter ausgegeben. Zumal die natürliche Beanspruchung mit den Jahren zur Materialermüdung führt: Strafferes Kollagen tritt an die Stelle des Elastins.

Die Werte des Femcor-Projekts bestärken die individuelle Risikobestimmung, insbesondere die geschlechtsspezifischen Unterschiede. "Mit dem Ergebnis haben wir so nicht gerechnet. Das könnte in ESH/ESC-Richtlinien miteinfließen, muss aber zuerst in verschiedenen Kohorten bestätigt werden", sagt Mayer. "Vieles ist noch unklar. Beispielsweise haben junge Männer einen höheren Blutdruck als Frauen, die aber nach dem Wechsel aufholen, und die Werte nähern sich schließlich einander an", erklärt Weber.

Weitere Schritte sind in der Folge nötig, um auch Risikofaktoren wie Rauchen, Diabetes, hormonelle Kontrazeptiva, Übergewicht oder das Einwirken der medikamentösen Therapie in den Berechnungen zu berücksichtigen. (Sandra Fleck, 1.9.2017)