Als das Café Griensteidl am Wiener Michaelerplatz Ende Juni seinen Betrieb eingestellt hat, wartete man gespannt auf die Verkündung eines neuen Betreibers. Schließlich könnte die Lage für ein Wiener Kaffeehaus nicht besser sein. Touristen schaffen es kaum, nicht an dem Eck-Café neben Hofburg, Kohlmarkt und Michaelerkirche vorbeizugehen.

Mittelmäßigen Kaffee und aufgewärmtes Gulasch bekommt man auch an anderen Adressen, dachte man sich offenbar und entschied sich für ein völlig neues Konzept an jenem historischen Ort. Seit vergangenem Wochenende wuselt es wieder ordentlich im ehemaligen Café im Palais Herberstein.

Die Agentur Friendship hat ein Team aus Gastronomen, Köchen und Kreativen zusammengestellt, um das Lokal gemeinsam unter dem Namen Rien für sechs Monate zu betreiben. Essen, Trinken und Kultur lautet das temporäre Konzept.

Manche Teammitglieder kannten sich bis vor kurzem nicht. Jetzt betreiben sie gemeinsam das "Rien": Philipp Haufler, Simon Kotvoys, Lucas Steindorfer, Viola Bachmayr-Heyda, Martin Fetz, Hubert Peter (v. li. n. re.).
Foto: Alex Stranig

"Kein Spaßprojekt"

Der Name habe sich ergeben, als man gemeinsam vor dem riesigen "Griensteidl"-Schriftzug stand und über einen passenden Lokalnamen nachdachte, erzählt Friendship- Geschäftsführer Martin Fetz. Also hat man kurzerhand den Anfangsbuchstaben und die letze Silbe von Griensteidl gestrichen.

Übrig blieb "Rien" – also Nichts, was die Betreiber für einen adäquaten Namen hielten. Alleine das Abmontieren des alten Schriftzugs hätte nämlich mehrere Tausend Euro gekostet.

Bei einem Projekt, das zeitlich begrenzt ist, muss jede Investition genau überlegt sein. "Wir müssen hier natürlich Geld verdienen, auch wenn uns der Hauseigentümer mit einer umsatzabhängigen Miete sehr entgegenkommt. Aber es ist kein Spaßprojekt. Schließlich beschäftigen wir über 25 Mitarbeiter", sagt Fetz.

Das frühere Café Griensteidl wurde zum "Rien".
Foto: apa/hochmuth

Versuchslabor

Ob aus dem Rien am Michaelerplatz irgendwann ein fixes Lokal wird, wissen die Betreiber noch nicht. Bis Ende Jänner 2018 ist es eine Art Versuchslabor, für das einige Gastro-Profis gefunden werden konnten. Lucas Steindorfer und Simon Kotvoys ziehen die Fäden in der Küche.

Mehlspeisen kommen von Viola Bachmayr-Heyda, der ehemaligen Chef-Patissière von Joseph Brot. Für die Bar ist Ausnahmebarkeeper Hubert Peter verantwortlich, der mit Philipp Haufler auch die Geschäftsführung innehat. Tagsüber gibt es eine kleine Karte. Abends wird richtig aufgekocht.

Touristenküche sucht man hier allerdings vergebens. "Wir freuen uns, dass wir die Innereienküche wieder hochleben lassen können. Klassisches Schnitzel gibt es bei uns nicht. Kalbsvögerl oder Fledermaus hingegen schon", sagt Simon Kotvoys, der wie sein Kollege Lucas Steindorfer bei Christian Petz gelernt hat.

Hubert Peter beschreibt die Küchenlinie als Neuinterpretation der K.-u.-k.-Küche. "Heute haben wir ganz andere Möglichkeiten, weil wesentlich mehr Produkte bei uns kultiviert werden. Alleine bei regionalem Gemüse oder Kräutern ist die Auswahl enorm. Eukalyptus zum Beispiel gibt es in der K.-u.-k.-Küche nicht wirklich. Heute wächst er mitten in Wien. Warum soll man ihn also nicht verwenden", sagt Peter.

"Die Gerichte sind regional und saisonal. Für den Winter haben wir bereits Sauerkraut angesetzt und Salzgurken eingelegt. Rüben werden gerade fermentiert. Für eine Vorspeise haben wir weißen Pfirsich geräuchert. Den gibt es mit einer Marinade, die wir aus Fichtenharz gekocht haben", sagt Simon Kotvoys.

Raum für Ideen

Auch andere Unternehmer haben das Zwischennutzungskonzept für sich entdeckt. Georg Demmer betreibt aktuell das Café und Schloss Cobenzl, nachdem der Pächter im Frühling ausziehen musste. Bis Anfang 2018 der neue Pächter in das Lokal an der Wiener Höhenstraße einzieht, werden Picknicks im Garten und Clubbings im Marmorsaal des Schlosses veranstaltet.

Im Café gibt es Biosachertorte und Grüntee mit Holunder. Statt Schnitzel serviert man Würstel und Weckerl. Was danach kommt? "Wir lassen es auf uns zukommen. Es gibt aber schon wieder neue Ideen", sagt Demmer.

Bis Anfang 2018 wird das Café und Schloss Cobenzl noch als Zwischennutzungsprojekt betrieben.
Foto: Fürthner

Taubenkobel-Pop-Up

Neben jungen Kreativen gibt es auch erfahrene Vollblutgastronomen und Spitzenköche, die Gefallen an temporären Lokalen gefunden haben. So kochte Alain Weissgerber (Taubenkobel) vor zwei Jahren in der Vorweihnachtszeit für 25 Tage im Pop-up "Zum Tauben Dogen" im Supersense in der Wiener Praterstraße. Heuer soll es von November bis Dezember wieder ein ähnliches Projekt in der Wiener Innenstadt geben, wie Barbara Eselböck vom Restaurant Taubenkobel versichert. Genaueres soll in den nächsten Wochen verkündet werden.

Von der alten Karte im ehemaligen Café Griensteidl ist nichts mehr übrig, von der Einrichtung schon. Die Sitzecken aus rotem Samt und die Kuchenvitrine zum Beispiel, in der Viola Bachmayr-Heyda ihre Mehlspeisen präsentiert. Die Füße der alten Marmortische hat Designer Christopher Rhomberg zu einer langen Tafel aus Beton umfunktioniert, die alten Lampen zu einem Luster. An der Decke prangt ein 13 Meter langer Bartenwal, den Sascha Vernik gemalt hat.

Wie das ehemalige Kaffeehaus, dessen 1897 abgerissener Vorgänger auch "Café Größenwahn" genannt wurde, ankommt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. "Wir sind flexibel. Das ist unser großer Vorteil. Es gibt kein fixes Konzept, dafür aber ein hochmotiviertes und engagiertes Team", sagt Martin Fetz. (Alex Stranig, RONDO, 2.9.2017)

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