Kinder in Erbil spielen Fußball – vor einer Plakatwand mit dem Bild von Präsident Massud Barzani, der für ein Ja beim Unabhängigkeitsreferendum am 25. September wirbt.

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Erbil/Wien – Das Referendum werde wie geplant stattfinden: Das ist der Tenor der Stellungnahmen von Massud Barzani, Präsident der Kurdischen Regionalregierung (KRG) in Erbil, der die Kurden und Kurdinnen im Nordirak am 25. September über die Unabhängigkeit abstimmen lassen will. In Erbil gaben sich in den vergangenen Wochen internationale Besucher die Klinke in die Hand, um Barzani zu einer Verschiebung des Referendums zu bewegen.

Bisher vergeblich, wenngleich Barzani auch hin und wieder die Möglichkeit dazu anklingen lässt: Wenn die internationale Gemeinschaft (USA, EU, Uno-Sicherheitsrat) garantieren würde, dass das Referendum und sein Ausgang anerkannt würden, dann könnte man es auch ein Jahr später abhalten. Eine Garantie aus Bagdad würde aber nicht reichen, wird Barzani von Rudaw zitiert.

Erbil hat zwar keineswegs vor, nach einem – erwarteten – Ja-Votum sofort die Unabhängigkeit auszurufen: Es wäre nur der Beginn eines langen und komplizierten Verhandlungsprozesses zur Scheidung vom Irak. Dennoch sind sich die Nachbarn – Türkei, Iran, Syrien – sowie die USA, Russland und die EU allesamt einig, dass das Referendum nicht stattfinden sollte. Nur ein Staat in der Region hat offene Sympathien: Israel würde jedoch kaum Schritte setzen, die der US-Politik völlig zuwiderlaufen.

Ankara und Teheran

Über die Sorge der Auswirkungen des Referendums auf ihre eigenen sowie die syrischen Kurden haben Ankara und Teheran zusammengefunden: Da werden gelegentlich sogar militärische Drohungen laut. Die westlichen Staaten argumentieren hingegen vor allem, dass der Zeitpunkt falsch ist: Mögliche neue Spannungen in der Region würden den Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) gefährden, der zumindest im Irak in den letzten Zügen liegt.

Die USA machen sich aber auch Sorgen um den Restirak: 2018 stehen Parlamentswahlen an, und Premier Haidar al-Abadi, mit dem die USA einen guten Arbeits modus gefunden haben, hat nach dem Sieg über den IS eine gute Ausgangsposition. Wenn Abadi jedoch tatenlos zusieht – und es bliebe ihm wohl nichts anderes übrig – , dass der erste Schritt zum Zerfall des Irak gesetzt wird, würde ihn das schwächen. Und die dem Iran nahestehenden Kräfte stärken.

Verständnis in Riad

Der Wegfall der meist sunnitischen Kurden würde auch das religiöse Make-up des Irak weiter zugunsten der Schiiten verschieben – eigentlich ein Grund für sunnitisch-arabische Staaten, dagegen zu sein. Andererseits hat gerade Saudi-Arabien seine Beziehungen zu Erbil gerade deswegen gepflegt, weil sie mit Bagdad so schwierig waren. Ein enger eigenständiger Verbündeter zwischen Irak, Syrien, Iran und Türkei könnte für Riad nützlich sein.

Einen mahnenden Brief hat Barzani jedoch aus der Arabischen Liga erhalten: Er antwortete mit dem Hinweis, dass sich die Araber noch nie in der Geschichte Sorgen um die Kurden gemacht hätten – und erinnerte an Saddam Husseins Genozid in den 1980ern.

Die Brisanz des Referendums für die Zentralregierung in Bagdad wird dadurch erhöht, dass auch in Gebieten abgestimmt wird, die zwischen Erbil und Bagdad umstritten sind. Am Dienstag entschied der Provinzrat Kirkuks für eine Teilnahme am Referendum, bei einer Sitzung, die von Turkmenen und Arabern boykottiert wurde. In Bagdad meldeten sich über die Parteigrenzen hinweg Politiker mit Verurteilungen. Kirkuk werde ein Beispiel an guter Koexistenz sein, Vertreter anderer Volksgruppen würden an der Regierung beteiligt, sagte Barzani. An der kurdischen Identität Kirkuks werde jedoch nicht gerüttelt.

Zweifel an Barzanis Motiven

Die Kurden haben die Kontrolle über Kirkuk gewonnen, als die irakische Armee 2014 vor dem "Islamischen Staat" floh. Ohne kurdische Peschmerga wäre der Kampf gegen den IS gar nicht möglich gewesen. Kurdistan hat auch große Leistungen bei der Versorgung der Flüchtlinge aus IS-besetzten Gebieten erbracht. Als die KRG das Unabhängigkeitsreferendum in den Raum zu stellen begann, sahen deshalb manche Beobachter darin lediglich einen taktischen Zug, um die kurdischen Forderungen an Bagdad, unter anderem territoriale, durchzusetzen. Es sei klar, dass in der Post-IS-Ära das Verhältnis zwischen Bagdad und Erbil völlig neu definiert werden müsste, sagte ein kurdischer Offizieller zum STANDARD.

In Kurdistan gibt es keine Partei, die sich prinzipiell gegen das Referendum ausspricht – aber bei der Opposition sehr wohl Zweifel, ob Barzani, dessen Mandat als Präsident seit zwei Jahren abgelaufen ist, nicht vor allem die innenpolitische Stärkung seiner Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) im Auge hat. Viele Kurden beklagen Korruption, Nepotismus und politische Lähmung. Barzani hat am 1. November Parlaments- und Präsidentenwahlen angesetzt und versichert, bei Letzteren nicht mehr antreten zu wollen. (Gudrun Harrer, 1.9.2017)